Wir sind auf dem Weg nach Holland. Es ist Freitag, unser Kasten ist bis hart an der Grenze vollgepackt, wir fahren aber erst zur Geburtstagsfeier meiner Schwester. Die ist 50 geworden und hat die Festlichkeit gespickt mit Bildern und Gesang aus ihren Chor- und Musicalgemeinschaften. Sehr emotional. Um die allabendliche Verkehrsberuhigung zu nutzen, fahren wir spät noch los in Richtung Winterswijk, denn wir wollen dort dem größten Freizeitmarkt der Niederlande einen Besuch abstatten.

Auf der Webseite von Obelink  steht ausdrücklich, dass „das Übernachten am Freizeitmarkt verboten ist“ – so wie das Wildcampen in den Niederlanden generell. Ahh, ist das so?

Im Kasten unten findest du die Regeln bzw. Gesetze dazu. Wie so oft muss jeder selber sehen wie er damit umgeht. Marianne und ich sind vom Naturell, von der Ausstattung unseres Fahrzeugs und den finanziellen Möglichkeiten her eher Freisteher. Ich bin mal gespannt, was wir von der guten alten Freiheit der Wohnmobilreisenden in diesem Sommer noch erleben dürfen.

Stehen in Dülmen

Heiße Diskussion: Wo stellt man sich hin? Vor die Pfähle mit den Platznummern oder dazwischen?

Okay, nur wenig vertraut mit der niederländischen „Park“-Infrastruktur wollen wir erst mal nur bis kurz vor die Grenze fahren und dort auf einem Rastplatz nächtigen. Eine (vor)schnelle Orientierung auf dem Handy führt zur Wahl der A43 von Münster aus. Dabei übersehe ich, dass diese Bahn hinter Nottuln leicht in die falsche Richtung abknickt und dann auch relativ schnell ohne Rastplatz in Dülmen  endet. Also suchen wird dort einen Parkplatz, verlieren aber schnell die Geduld (es ist mittlerweile 1 Uhr) und landen schließlich auf dem Stellplatz am Haus Waldfrieden , vier Radkilometer außerhalb der Stadt. Für 6 Euro bekommen wir einen Rasenplatz vor einer Weide mit Wasserversorgung als einzigem Service. Was für eine nette Umgebung:

Dagegen ist ein Aquarium nur hektisches Gewusel

Die Rinder strahlen eine wohltuende Gelassenheit aus. Ein winzig kleiner Park mit Kapelle („Garten der Ruhe“) neben dem Gasthof, das Gehege mit dem nicht ganz so scheuen Rotwild und den kecken Ziegen dahinter sowie Eselin Liesl und Ziege Racker laden zu einem kurzen (abendlichen) Spaziergang ein. Die Wanderung durch den prächtigen Wildpark  einen Kilometer entfernt dauert dagegen schon etwas länger.

Wandern in Dülmen


Unser Rundgang durch den Dülmener Wildpark

Bei meiner (fast alltäglichen) Morgenrunde entdecke ich diesen Park, in dem sich Buchen-, Eichen- und Mischwälder abwechseln mit kleinen Lichtungen und größeren Freiflächen. Die Sonne scheint auf ausgedehnte Weiden- und Wiesengründe, auf Teiche und Tümpel und sorgt so für eindrucksvolle Lichtspiele.

“Frei“ laufendes Damwild vor dem alten Försterhaus im Dülmener Wildpark

Das Wetter ist gut, und so nehmen wir uns nach dem Frühstück den Wildpark vor. Und weil ich bei meiner morgendlichen Tour durch den Wald außer ein wenig Federvieh keine weiteren Tiere entdeckt habe, nehme ich auch jetzt keine Kamera mit. Ein Fehler!

Buchen-, Eichen- und Mischwälder im Wechsel mit kleineren Lichtungen und größeren Freiflächen

Wann begreife ich endlich, dass es meistens etwas zu fotografieren gibt. In diesem Fall sind es das Damwild, die Schafe und Heidschnucken, die vollkommen frei im Park leben. Man könnte also versuchen, den scheuen Tieren sehr nah zu kommen. Solche zeitaufwendige Experimente hebe ich mir aber für später auf. Kuriose Baumreste und in den Teichen spiegelndes Sonnenlicht bieten genug Gelegenheiten für Schnappschüsse mit dem Handy.

Wildpferde in Dülmen

Meine zweite Morgenrunde unternehme ich mit dem Rad. Das Café Grote unter den Arkaden (nahe der Kirche St. Viktor im Zentrum) hat sonntags ab 6.30 Uhr geöffnet, was ich gegenüber der Bedienung auch anerkennend äußere, worauf diese sich fast entschuldigt, weil der Betrieb die Öffnungszeiten erst vor kurzem von 6.00 auf 6.30 Uhr verschoben hat. Der Kaffee jedenfalls schmeckt.

Auf dem Rückweg „schlendere“ ich noch radfahrend durch die City. Plötzlich höre ich es hinten knirschen. Könnten das Scherben gewesen sein? Ich habe kurz vorher eine esstellergroße Unregelmäßigkeit im Pflaster wahrgenommen und hoffe nun, dass das Popcorn oder ähnliches Gebrösel war. Dann entdecke ich eine Fahrrad-Servicestation und pumpe meine Räder stramm auf. Vielleicht ein Fehler, denn ich komme nur noch bis zum Dülmener Eingang vom Wildpark. Dann ist mein Hinterrad platt. Was tun, sprach Zeus, die Götter …

Die wollten wir sehen. Dazu ist es leider nicht gekommen (Bildquelle: Karin Biela)

Um schneller zum Womo zurück zu kommen, kette ich mein Rad an den Zaun und laufe zu Fuß weiter. Schließlich wartet Marianne mit dem Frühstück auf mich. Dort angekommen stellen wir fest, dass kein Flickzeug da ist. Nach dem zweiten Kaffee marschiere ich zurück zum Rad. Um Mantel und Schlauch zu schonen, wird das Rad am Gepäckträger angehoben und geschoben. Wieder zurück versuche ich das Hinterrad aus dem Rahmen zu hebeln, was sich zunächst schwieriger gestaltet als gedacht – okay, habe ich auch noch nie gemacht. Geht dann aber doch und mit zwei Kaffeelöffeln löse ich den angeblich unplattbaren Mantel vom Rad. Der naive Versuch, das Loch im Schlauch mit Panzertape zu flicken, schlägt allerdings fehl. Damit hat sich die für heute geplante Radtour zu den Dülmener Wildpferden  erledigt.

Entsorgen in Dülmen

Wir marschieren stattdessen mitten durch den Park nach Dülmen. Das sind etwa 4 Kilometer, wenn man den schönen Weg durch den Vorpark wählt. Die Hauptstraße entlang ist es etwas kürzer. Ich teste ja gern öffentliche Toiletten und muss hier mal ein Lob aussprechen. Das kostenlose WC am Marktplatz ist das Beste was ich bisher genutzt habe. Sauber, ausreichend groß und zweckmäßig ausgestattet. Perfekt war auch die Waffel in der Eisdiele an der Borkener Straße.

Auf dem Rückweg sehen wir uns noch den kostenlosen Stellplatz „Hüttendyk“  in der Stadt an. Die Entsorgungsstation wird im Netz häufig als unsauber bezeichnet und wir schließen uns dieser Auffassung an. Ein etwa 30x30 cm großer und 5 cm tiefer (!) Bodeneinlass mit dem Abfluss daneben funktioniert eben nur dann richtig, wenn er nicht durch das von manchen Wohnmobilfahrern benutzte Toilettenpapier halbwegs verstopft wird. Dann läuft die Brühe eben nicht richtig aus dem kleinen Becken hinaus – mal ganz abgesehen von den unvermeidlichen Spritzern beim Einschütten. Und wenn man dann auch noch den Euro für die Ent-/versorgung sparen will, dann kommt eben kein Wasser – auch nicht für die Spülung dieses Ablaufs. Also: Grauwasser ablassen und WC entsorgen mit Sonnenbrille geht – aber Wasser tanken möchte ich hier nicht.

Fahrradwerkstätten in Dülmen

Praktisch: Modernes Flickzeug fürs Fahrrad passt zur Not ins Portemonnaie

Montag morgen: Ich schnappe mir das Pedelec von Marianne und fahre mit meinem Hinterrad, Mantel und Schlauch ziemlich früh in eine der örtlichen Fahrradwerkstätten. Dort konnte meinem Wunsch, den neuen Schlauch mit Mantel gleich auf das Rad zu ziehen, leider nicht entsprochen werden – zu viel Betrieb in der Werkstatt. Das konnte ich auch wahrnehmen, aber meine Güte, so eine Kleinigkeit sollten professionelle Monteure doch selbst mit der linken Hand in kurzer Zeit erledigen können. Falsch gedacht.

Also erwerbe ich noch einen Satz Plastik-Reifenheber, um die Löffel wieder abgeben zu können. Als der Kassierer mir dann noch auf Wunsch Flickzeug aushändigt, staune ich Bauklötze. Das Set ist etwa so groß wie vier aufeinander gelegte 2-Euro-Münzen: 6 selbstklebende Flicken inklusive Schleifpapier. Superleicht und wahrscheinlich auch superschnell verlegt bzw. verloren.

Okay, in knapp 5 Minuten ist der Mantel aufgezogen und auch der Einbau des Hinterrades gelingt auf Anhieb. Nach dem letzten Einkauf in Deutschland und dem Besuch der schon beschriebenen Entsorgungsstation machen wir uns auf den Weg nach Holland.

Freizeitmarkt in Winterswijk

Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an … im Freizeitmarkt in Winterswijk

Aber zuerst geht es ins niederländische Gelderland. Holland sind nämlich nur die beiden Provinzen im Westen unseres Nachbarlandes. Den Obelink  in Winterswijk kenne ich erst seit einer Online-Bestellung kurz vor unserer Abreise, weil ich USB-Adapter für unsere Stromschienen gesucht habe. Das dies kein deutscher Laden ist, war erst nach Empfang der Bestellbestätigungsmail erkennbar, die mit dem Text „Obelink Vrijetijdsmarkt“ begann. Nun war zu befürchten, dass die Adapter zu spät kommen würden, aber eine „leichte“ Anpassung von Mariannes Reiseplanung sorgte dafür, dass wir jetzt aufs Gelände des 70.000 m² großen Marktes einfahren und aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.

Schon der Riesenparkplatz voller Wohnmobile ist ein Superlativ. Den Laden selbst würde ich mit einem Ikea vergleichen – wozu auch die Werbung „Die Marke Obelink: Qualitätsprodukte zu niedrigen Preisen“ passt. Meine Dometic Adapter habe ich zwar gefunden, aber die Suche nach einem hochwertigen Tarp als Alternative zur nicht vorhandenen Markise bleibt erfolglos. Dafür hat Marianne an ihrem heutigen Geburtstag hier die leichten Wanderschuhe gefunden, die in Deutschland angeblich nicht mehr zu bekommen sind. Und für mich gab es Ersatz für meine vor langer Zeit verlegte Kappe – also fast eine Shopping-Orgie. Na denn: Herzlichen Glückwunsch. Mit den Feierlichkeiten beginnen wir entspannt im Marktrestaurant und …

Nijkerk


Auf dem Lande in Nijkerk: Pferde, Kiebitze, Schollenelstern und Galloways

… machen abends weiter auf dem Bauern-/Pferdehof Hiensch  im 100 Kilometer entfernten Nijkerk. Von dort ist es eine halbe Stunde Radfahrt bis ins malerische Amersfoort, wo wir eigentlich hin möchten. Wir stehen am Rande einer Pferdekoppel und direkt neben unserem Fenster ist eine größere Pfütze, in der Kiebitze und ein Paar Schollenelstern (auch unter dem Namen Austernfischer  bekannt) ihr tägliches Bad nehmen. Putzig. Das Pärchen hat offenbar in der Galloway-Weide ein Nest und eines der Kleinen ist schon geschlüpft. Vorwitzig kommt es immer wieder aus der Deckung im Gras und flitzt hinter den Eltern her.


Die Veluwerandmeere (niederl. Meer = see)

Nach einer ruhigen Nacht unternehmen wir unsere erste größere Radtour in den Niederlanden und Marianne ist wieder mal begeistert von der fast durchgehenden Trennung der Verkehrswege für Radfahrer und Kraftfahrzeuge. Lediglich als Basislager für unsere Ausflüge nach Amersfoort gedacht hat sich Nijkerk inzwischen selbst als reizvolle Umgebung entpuppt. Gestern waren wir in der Altstadt, die wohl im Vergleich mit anderen Kleinstädten des Landes nichts Besonderes sein mag, aber – für unsere Sehgewohnheiten eben noch ungewohnt – dieses niederländische Flair ausstrahlt, das einen Stadtbummel dennoch reizvoll macht.

Strandbad und Stellplatz am See

Google führt uns gerade den Arkervaart-Kanal entlang zum Strandhuys Nijkerk, was am Nijkerkernauw liegt, einem der Binnenseen zwischen Markermeer im Westen und Veluwemeer im Osten, die entstanden sind als man Teile der ehemaligen Zuidersee trockenlegte. Dort kann man sich den Schleusenbetrieb an der Arkersluisbrug ansehen, das Strandbad und den Wohnmobilstellplatz Nijkerk aan Zee  begutachten oder mal im Ferienpark Bad Hulckesteijn  schauen, wie andere Urlaub machen.

Amersfoort

Von den Mauerhäusern zum liebevollen Käsehandwerk

Heute ist Mittwoch. Ab morgen haben wir einen Stellplatz in Amsterdam und so bleibt uns nur noch ein Tag für Amersfoort . Der Ort ist bekannt für seine fotogenen Gebäude und mittelalterlichen Straßen – zum Beispiel die gebogene „Muurhuizen“ im historischen Stadtzentrum. Die ist um 1500 entstanden, als Amersfoort so rasant wuchs, dass man die erste Stadtmauer abbaute, um mit den Steinen auf deren Fundament neue Häuser zu bauen: die sogenannten Muurhuizen (= Mauerhäuser). Beim Anblick des in Touristikführern gern erwähnten Delikatessengeschäfts Liefde & Ambacht  (Liebe & Handwerk) fällt mir wieder auf, wie viel Kommerz heutzutage mit Herz gemacht wird. Aber vielleicht ist es hier ja tatsächlich so.

Ein Wunder, dass er noch steht – der Turm im Zentrum der Niederlande

Das berühmte Wassertor Koppelpoort war Teil der neuen Stadtmauer – es „koppelte“ sozusagen einen Wasser- mit einem Landzugang in die Stadt. Knapp 100 Meter ist er hoch und damit zählt er zu den höchsten mittelalterlichen Türmen der Niederlande: der Liebfrauenturm , ein Kirchturm ohne Gotteshaus – man könnte ihn auch als Mahnmal gegen den sorglosen Umgang mit Sprengkörpern betrachten. Nach Übernahme der Kirche durch die Protestanten 1579 wurde das Gebäude auch für nichtreligiöse Zwecke genutzt, etwa zur Lagerung von Schießpulver. Keine zehn Jahre später kam es dann durch Unachtsamkeit eines Labormitarbeiters zu einer Explosion, die das Gotteshaus so schwer beschädigte, dass man es ebenfalls abräumte. Die ehemaligen Umrisse des Gebäudes sind heute auf dem Platz vor dem Turm zu sehen, der übrigens genau im Zentrum der Niederlande steht. Warum der Turm die Katastrophe überstanden hat? Die Stadtführer berichten gern vom Wunder von Amersfort.


Impressionen aus Amersfoort

Nun haben wir genug Zeit auf dem Weg nach Amsterdam verbummelt. Die 60 Kilometer bis zum Campingplatz Vliegenbos dort sind nur noch ein Katzensprung.