Auf dem Weg in die Niederlande. Hmm, haben wir nicht eine Tour nach Frankreich angekündigt? Ja, aber vorher machen wir noch einen kleinen Abstecher nach Amsterdam und besuchen Jens. Und wie immer haben wir es nicht eilig. Der Campingplatz dort erwartet uns erst am Sonntag – Zeit genug also, um ein paar Sehenswürdigkeiten auf dem Weg mitzunehmen.

Eigentlich wollten wir gestern Abend schon los, aber der deutsche Wetterdienst hat schwere Gewitter mit Starkregen, Windböen bis 80 km/h und Hagel über NRW angekündigt. Sowas möchten wir weder auf der Autobahn noch auf einem Stellplatz erleben. Und heute morgen war immer noch nicht ganz klar, wo und wann das Ganze über uns hereinbricht – instabile Wetterlage nennen das die Meteorologen. Marianne hat allerdings am Vormittag das Regenradar aufmerksam verfolgt und sagt dann gegen Mittag etwas zu mir, was wohl schon so mancher Steuermann ähnlich formuliert hat: „Käpt‘n, schwerer Sturm voraus. Wenn wir schnell reagieren, können wir das Gebiet umfahren.“ Okay, das Wort „Käpt‘n“ hat sie nicht einmal im übertragenen Sinn verwendet.

Bad Bentheim


Weg zum unteren Burgtor aus dem 13. Jahrhundert

Gesagt, getan – entgegen meiner Absicht, durch eine abendlichen Abfahrt die Hauptverkehrszeit zu vermeiden, sind wir schon mittags aufgebrochen, um den Sturm nordwestlich über die A33 zu umgehen. Das klappt auch bis kurz vor Bad Bentheim, wo uns dann doch noch ein (harmloser) Regenschauer erwischt. Der Ort war aber eh auf unserer Liste möglicher Stopps und so fahren wir noch die 5 Kilometer den gut ausgeschilderten Weg von der Autobahn zum Stellplatz im Schlosspark  unterhalb der Burg .


Der Drususfelsen mit dem (nicht sichbaren) Teufelsohr auf der Oberseite

Und dieses massiv wirkende Bollwerk ist auch der Kern einer reizvollen kleinen Altstadt unterhalb davon mit viel Kopfsteinpflaster, Backsteinhäusern, engen Gassen bedacht mit dem Laub alter knorriger Bäume sowie einer vielfältige Gastronomie teilweise auf hoch angelegten Terrassen. Nett. Doch der Eindruck täuscht. Die Mauern mögen zwar massiv wirken, aber der häufige Eigentümerwechsel deutet ein unruhige Vergangenheit an. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass der Teufel beim Bau der Burg eine Rolle gespielt haben soll (hier nachzulesen ). Wer es eher „natürlich“ mag, kommt im nahegelegenen Kurpark auf seine Kosten.


Eine weiße Flagge als Symbol für Diversität

Aufgefallen ist uns auch die Galerie Mutterherz , in der die Künstlerin Elke Krug ihre Werke ausstellt. Es sind aber nicht die Kunstwerke, die uns ins Auge fallen (sorry Elke), sondern die Zitate im Fenster. Die meisten der Autoren und Autorinnen kennt man ja, aber wer zum Teufel ist Viktoria zu Bentheim ? Auch die oben am Haus angebrachte weiße Flagge als Sinnbild für Diversität zu nehmen – das ist doch mal ein interessanter Ansatz. Für alle die da gerade im Physikunterricht gefehlt haben: Weißes Licht entsteht, wenn die (additiven, also durch Scheinwerfer oder Monitor-Punkte erzeugten) Grundfarben Rot, Grün und Blau auf einen Punkt gerichtet werden. Weißes Licht „enthält“ alle anderen Farben.

Sprüche

“Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir widerspruchslos hinnehmen.“ Arthur Schopenhauer

"Ich glaube, dass die Erkenntnis der Wahrheit nicht in erster Linie eine Sache der Intelligenz, sondern des Charakters ist. Dabei ist das Wichtigste, dass man den Mut hat, nein zu sagen und den Befehlen der Machthaber und der öffentlichen Meinung den Gehorsam zu verweigern; dass man nicht länger schläft, sondern menschlich wird; dass man aufwacht, und das Gefühl der Hilflosigkeit und Sinnlosigkeit verliert." Erich Fromm

„Der größte Schaden entsteht durch die schweigende Mehrheit, die nur überleben will, sich fügt und alles mitmacht.“ Sophie Scholl

„Gewiß, jeder hat das Recht seine Meinung frei zu äußern; das Recht aber, diese Meinung mit der Wahrheit zu identifizieren und für Andersdenkende Scheiterhaufen zu errichten, das hat er nicht.“ Hedwig Dohm

„Weißt Du, das ist der größte Vorwurf, den ich unserem deuschen Volk mache; – nicht der Mangel zur Einsicht, die kann man nicht immer verlangen, aber – der Mangel an Mut.“ Prinzessin Viktoria zu Bentheim

Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden.“Rosa Luxenburg

Bleiben wir also noch einen Tag in Bad Bentheim, damit ich mir die (laut Wikipedia) größte und schönste Burganlage Nordwestdeutschlands  in Ruhe anschauen kann? Bekomme ich noch meine Waffel in dem Cafe mit der hoch angelegten Terasse? Leider nicht, denn auf dem Parkplatz direkt neben uns wird gerade das morgen beginnende Schützenfest aufgebaut – und das würde eine schlaflose Nacht bedeuten. Morgen fahren wir weiter nach Deventer.

Deventer


Der Campingplatz liegt links hinter der Baumgruppe

Kaum sind wir in den Niederlanden und sofort fällt uns ein Unterschied auf: Der Campingplatz in Deventer  ist nicht akkurat in Parzellen gegliedert. Hier kann jeder stehen wie er will. Das ist in den sozialen Netzwerken auch schon kritisiert worden – aus östlicher Richtung vielleicht? Ich hingegen finde das gut. So sind wir Gäste selbst gefordert, sozial verträglich mit dem verfügbaren Platz umzugehen.


Anlegestelle der Fähre am linken Flussufer

Deventer am Ufer der Ijssel gilt als eine der ältesten Städte der Niederlande. Im Mittelalter florierte hier der Handel wegen der günstigen Lage am Fluß und der damit einhergehenden Verbindung zur Nordsee. Die blühende Handelsstadt war lange Teil der Hanse und außerdem wichtiges Zentrum für religiöse Reformen im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit. Wie in fast allen niederlänischen Städten zog auch hier im späten 16. Jahrhundert die Reformation ein. Die Stadt verlor an Bedeutung, als im 16. und 17. Jahrhundert die Seewege über Holland immer wichtiger wurden und der Wasserpegel der IJssel sank, so dass große Schiffe den Fluss nicht länger nutzen konnten. Das Stadtbild zeigt aber noch viel von der glanzvollen Zeit.


Die ehemalige Kathedrale vom Bistum Deventer

Da wäre zum Beispiel der große „Kerkhof“ mit dem Rathaus und der Lebuinuskirche, die kurzfristig mal Kathedrale des 1559 eingerichteten (und 1591 wieder aufgelösten) Bistums Deventer war. Ich erwähne das deshalb, weil es schon ein eigentümliches Gefühl ist, durch so eine riesige Kirche zu schlendern, die (typisch protestantisch) schmucklos eingerichtet ist. Und noch etwas ist ungewöhnlich: Wir sitzen draußen auf dem Kirchhof, um uns nach einem längeren Spaziergang zu erholen, da erklingt aus dem Turm das Glockenspiel mit dem Lied „La vie en rose“ von Edith Piaf, eines meiner Lieblingslieder (hier gespielt in Perpignan, Frankreich ). Okay, so ganz überraschend kommt es nicht, denn ich habe das letztes Jahr in Zwolle schon einmal erlebt. Scheint ja nicht unüblich zu sein. Tatsächlich gibt es in den Niederlanden den weltweit größten Bestand an Glockenspielen (Carillon  genannt).


Ein Rathaus bestehend aus drei völlig verschiedenen Gebäuden

Und das Rathaus gegenüber der Kirche ist auch bemerkenswert. Es gehören drei Gebäude dazu: Rechts das eigentliche Rathaus mit der 1693 errichteten klassizistischen Fassade aus Bentheimer Sandstein. Das reich verzierte Landshuis im Renaissancestil von 1632 in der Mitte wurde in den 1980er Jahren angegliedert. Die außergewöhnliche Fassade des Stadtbüros auf der linken Seite besteht aus 2264 vergrößerten Fingerabdrücken von Deventer Bürgern. In dessen Innenhof befindet sich ein kleines, wie eine Kapelle anmutendes Gebäude, das wir als Standesamt identifizieren, weil sich eine Gruppe von Ruderern in Montur anscheinend bereit macht, ein frisch getrautes Paar mit einem Paddel-Spalier in Empfang zu nehmen.


Die ehemalige Stadtwaage ist jetzt Stadtmuseum

Am Brink, dem Markplatz von Deventer, fällt besonders die 2002 restaurierte spätgotische Stadtwaage aus dem Jahr 1531 auf, in der sich heute das Stadtmuseum befindet. Hier mussten damals die Kaufleute ihre Handelswaren wiegen lassen, um Betrug zu verhindern und Wiegegeld zu kassieren.

Die sehenswerte Bergkirche aus dem 12. Jahrhundert mit ihren zwei charakteristischen Türmen befindet sich nicht weit davon im alten Stadtviertel „Bergkwartier“. Wohl wegen der vielen historischen Häuser feiern die Deventer hier jedes Jahr im Dezember das „Charles Dickens Festival“. Mit entsprechenden Kostümen werden dann mehr als 950 Figuren aus den Büchern zum Leben erweckt: von Scrooge bis Oliver Twist, von Mr. Pickwick bis zu den Christmas Carol Singers, von Waisenkindern bis zu Büroangestellten. Der Eintritt ist frei, aber aufgrund der vielen Besucher kommt es am Eingang des Stadtviertels schon mal zu längeren Wartezeiten.


So einen „Leierkasten“ haben wir noch nie gesehen

Wir schlendern durch die Altstadt und hören auf einmal Drehorgelmusik. Hört sich aber irgendwie anders an als der normalen Leierkasten ... viel besser. Neugierig folgen wir dem Klang und entdecken ein seltsames Gefährt: Eine Crescendo-Drehorgel (mit Pfeifen und Schlagzeug) auf einem Hänger, der (anscheinend) von einem Rasenmähermotor angetrieben wird. Alle fünf Minuten legt ein „Maschinenführer“ ein neues Lochkartenbuch ein mit je zwei Liedern, während ein zweiter mit der Sammeldose von Haus zu Haus geht. Da wir uns in einer Einkaufszone befinden, muß ich unvermittelt an den Rattenfänger von Hameln denken. Bei Youtube gibt es ein (etwas langatmiges) Video zur Orgel , der wir noch eine Weile folgen.


Sieht unprofessionell aus, funktioniert aber tadellos

Und der Campingplatz? 100 Meter von der Anlegestelle der Fähre entfernt mit freier Wahl des Stellplatzes auf Wiesen in der Sonne bzw. in der Nähe schattiger Bäume oder in einem kleinen Wäldchen mit komplettem Sonnenschutz – top. Die Sanitätanlagen: Okay bis … naja … einfach. Und die Entsorgung von Grauwasser: Dazu wird eine Schüssel unter das Wohnmobil geschoben und das Wasser läuft über einen daran befestigten dicken Schlauch ab. Auch einfach – funktioniert aber tadellos. Wir haben 21 Euro pro Nacht bezahlt.



Woeste Willem – ein cooler Natur-Spielplatz direkt neben dem Campingplatz

Das Beste ist allerdings der Natur-Spielplatz „Woeste Willem“ direkt nebenan – jedenfalls für Eltern mit jüngeren Kindern, die sich auch mal dreckig machen dürfen: das Flussufer, Kriechröhren durch kleinere Hügel, verschlungene Wege durch Gebüschdschungel, löchrige Brücken, Balancier-Balken über nicht allzutiefe Schluchten, Wasserpumpe mit verästeltem „Baum-Äquadukt“ sowie eine kleine scheue Schafherde samt Hinterlassenschaften, die fröhlich auf dem Platz umher springt.

Ein Besuch in Deventer lohnt sich. Wer nur einen Tag bleiben will, parkt am besten auf „userer Seite“ an der Anlegestelle. Das ist kostenlos und Platz genug ist auch da. Ich wäre gern noch zwei Tage länger geblieben, doch wir haben eine Verabredung und fahren weiter nach Amsterdam.