Wir sind in Honfleur und dieser Ort übertrifft für mich alles, was ich bisher auf unserer Tour gesehen haben. Der Hafen mit einer altertümlichen Häuserzeile im Hintergrund ist praktisch ein riesiger Gastronomiebetrieb mit einem Wasserbecken mitten dazwischen. Aber in den schmalen Gassen dahinter mit ihren Angeboten an Kunsthandwerk sowie kleinen Bars und Cafes verläuft sich das Volk. Und nach einigen Anlaufschwierigkeiten haben wir auch ein Stellplatz gefunden.
Pont du Normandie – Die längste Hängebrücke Europas (Quelle: Wikipedia, Urheber: Monster4711, CC BY-SA 4.0)
Wir kommen aus Le Etretat im Norden und Honfleur liegt unterhalb der Seine-Mündung, und deshalb müssen wir über die mautpflichtige Pont de Normandie , die längste Hängebrücke Europas (Details ). Als Klasse-2-Fahrzeug (2 bis 3 m hoch und bis 3,5 t) haben wir 6,70 Euro bezahlt (aktuelle Preise ). Und das lohnt sich – es ist schon ein kleiner Aufreger, ein (relativ) schweres Fahrzeug die 6prozentige Steigung hoch zwischen den armdicken Halteseilen hindurch in den Himmel und auf der anderen Seite wieder hinunter zu steuern. Mariannes Handy-Film von der Überfahrt ist als Video nicht zu gebrauchen und leider haben wir es gelöscht, ohne vorher wenigstens ein paar Bilder daraus zu extrahieren. Blöd. Aber Bernd Nebel hat ein paar schöne Bilder von der Brücke. Der kleine Umweg über die etwas weiter östliche Pont du Tancarville rechnet sich kaum, denn die würde uns neben der Zeit noch 3,30 Euro kosten.
In Honfleur angekommen gibt es erst mal Stress. Die Technik zur Einfahrt in den Stellplatz (Schranke, Nummerschilderkennung) ist anscheinend defekt und so stehen wir mit vielen anderen auf dem Busparkplatz davor. Der Parkplatzautomat bietet eine Übernachtungsgebühr von 14 Euro an, dasselbe was der Stellplatz kosten soll. Wir bezahlen das mit Münzen (geht nicht anders) – in der Hoffnung, dass wir mit der Quittung später auch auf den Stellplatz kommen.
Als es dann nach zwei Stunden so weit ist, stehen wir plötzlich allein auf dem Gelände und entscheiden, dass es hier direkt am Wasser doch viel schöner ist als auf dem Stellplatz. Da wir bisher hier nur einen Bus haben parken gesehen, stehen wir wohl auch niemandem im Weg. Okay, Entsorgung gibt es nur auf dem Stellplatz, und Wasser müssten wir von dort (wie üblich) mit dem Kanister holen. Sollte also alles kein Problem sein.
Unser erster Spaziergang führt die Hauptstraße entlang in Richtung Hafen und wir denken: „Ganz normale Kleinstadt, nichts Besonderes.“ Das ändert sich schlagartig, wenn man zum „Vieux Bassin“, zum alten Hafenbecken kommt, dem zweifellos meistfotografierten Ort der Stadt. Wohlhabende Familien aus Honfleur haben hier vom 16. bis 18. Jahrhundert ihre schmalen, mehrstöckigen Fachwerkhäuser dicht an dicht gebaut, wo ein Standort in der ersten Reihe mit Blick auf die Boote ein Statussymbol war. Statt der Handelsschiffe schaukeln hier heute allerdings nur noch Motorboote und -yachten und die Fischkutter liegen dahinter in den größeren Docks.
Am Eingang des Beckens von der Seine aus steht ein Gebäude (Lieutenance ), in dem ab dem 17. Jahrhundert der Statthalter des Königs wohnte. Es ist das einzige Überbleibsel der ehemaligen Stadtbefestigung und ein kurioses Ensemble, weil es praktisch aus mehreren „Häusern“ besteht. Zusammen mit dem über 100 Jahre alten Karussell gegenüber sowie den Booten im Wasser gibt das schon ein reizvolles Fotomotiv. Sharon Odegaard hat ein paar schöne Bilder vom Hafen gemacht.
Die „Église Ste-Catherine“ oder Kirche der Heiligen Katharina aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde als Ersatz für eine während des hundertjährigen Krieges (1337-1453) zerstörte Steinkirche erbaut. Nach dem Abzug der Engländer hatte die Erneuerung der Verteidigungsanlagen Vorrang vor dem Kirchenbau, und so waren Steinmetze und entsprechendes Material rar. Aber Honfleur war damals eine bedeutende Seehandelsstadt, für ihren Schiffbau bekannt und noch dazu von dichten Wäldern umgeben. Also machten sich die Schiffszimmerleute daran, Holz aus dem nahegelegenen Wald zu holen und errichteten – angeblich ohne den Einsatz einer einzigen Säge – ein massives, zweischiffiges Bauwerk, dessen Dach mit etwas Fantasie wie zwei umgedrehte Schiffsrümpfe aussieht. Dieses Provisorium steht nun seit über fünf Jahrhunderten.
Seit Beginn der Freilichtmalerei ist Honfleur dauerhaft ein beliebtes Ziel von Kunstmalern. Noch heute sieht man sie mit ihren Staffeleien im Hafen, und so beherbergt hier in den schmalen Straßen gefühlt jedes zweite Haus eine Kunstgalerie oder Kunstwerkstatt. Der 1824 in Honfleur geborene Maler Eugène Boudin war einer der ersten Freilichtmaler Frankreichs (sein komplettes Werk ). Seinetwegen gilt Honfleur auch als Wiege des Impressionismus. Nach 1850 entstand auf der Ferme Saint-Siméon in der Nähe von Honfleur eine kleine Künstlerkolonie, wo Boudin sich mit befreundeten Malern, wie Gustave Courbet, Eugène Isabey, Johan Barthold Jongkind, Claude Monet, Constant Troyon u. a. traf und die er zum Malen in der freien Natur anregte.
Gastronomie und Kunsthandwerk sind denn auch die Schwerpunkte in den Gassen nordwestlich hinter der Kirche. Viele Restaurants und kleine Cafés mit drei bis fünf Tischen vor der Tür laden zur kurzen Verschnaufpause im Schatten ein. Neben den Malereien gibt es natürlich das übliche, auf Touristen zugeschnittene Angebot an Dekorartikeln. Ich mag das Wort Kitsch nicht, weil ich nicht unterscheiden möchte zwischen gutem und schlechtem Geschmack.
In den Gassen dahinter um das Musee Eugène Bodin herum gibt es kaum noch was zu kaufen und so sieht man hier auch weniger Touristen. Gerade deshalb lohnt sich ein kleiner Spaziergang in dieser ruhigen Gegend mit viel historischer (um nicht zu sagen: alter) Bausubstanz, wo eben nicht alles so aufgehübscht worden ist.
Wir beenden unseren Rundgang in einem Restaurant außerhalb der Altstadt. Ich bestelle eine Pizza (die Preise sind der Umgebung entsprechend gesalzen) und bekomme praktisch eine Käseplatte mit Teigkruste – super dünner Teigboden mit viel Belag (vor allem Käse). Nicht unbedingt mein Fall.
Ich gehe abends um halb zehn nochmal zum Hafen und jetzt in der Dämmerung ist es gleich nochmal so reizvoll dort. Das Karussell, die Lampenketten der Restaurants, die Spiegelungen im Wasser und die schummrige Beleuchtung in den Seitengassen wie zum Beispiel der „Rue de la Prison“, direkt am Hafenbecken rechts neben der ehemaligen Kirche, die jetzt ein Marinemuseum ist … einfach nur schön.
Am nächsten Morgen überlegen wir, dass am heutigen Samstag in der Stadt wahrscheinlich noch mehr Betrieb sein wird als gestern. Außerdem sind wir jetzt gerade voll von Eindrücken und wollen ein paar Tage „entspannen“. Mit dem Plan, sich eine ruhige Ecke an der Côte Fleurie zu suchen, brechen wir nach dem Frühstück auf und verlassen diesen wunderschönen Ort.