Concarneau ist wie Saint Malo ein Reiseziel erster Klasse und hat ebenfalls eine befestigte Altstadt, die als Halbinsel ins Meer hinein ragt. Trotzdem ist es hier etwas beschaulicher, ja fast dörflich. Das gefällt uns besser. Zum Ausgleich bekommen wir in Port-Aven wieder eine Überdosis Publikumsverkehr.

Die nächsten Tage soll es sehr heiß werden und da kann der Aufenthalt auf einem staubigen Stellplatz in der prallen Sonne schon etwas unangenehm werden. Wir suchen uns deshalb einen schattigen Platz am Meer. Mit Concarneau ist das Ziel schnell ausgemacht, aber der Weg zum ausgewählten 4-Sterne-Campingplatz (42 €) gestaltet sich etwas schwierig, weil Tante Google uns erst schmale Straßen über einen Hügel führt („Hoffentlich kommt jetzt kein Gegenverkehr!“) und schließlich noch möchte, dass wir in eine Straße einbiegen, die für Wohnmobile gesperrt ist.

Stellplatz mit Blick aufs Meer

Entnervt fahren wir auf den Parkplatz eines Supermarkts, damit Marianne in Ruhe nach Alternativen suchen kann. Neues Ziel wird der 2-Sterne-Platz Camping du Moulin d'Aurore  (26 €). Nach einem kurzen Anruf wissen wir auch, dass dort noch Plätze frei sind. Jetzt aber sputen, damit uns nicht einer den letzten Platz vor der Nase wegschnappt.

Keine fünf Minuten später sind wir da und die nette Empfangsdame teilt uns mit, dass genügend Plätze frei wären. Wir können uns einen aussuchen, weiter unten könne man sogar das Meer sehen. „Mmmh“, denke ich, „was kann das für ein Platz sein, wenn in der Hochsaison noch so viel frei ist?“ Wir fahren auf einen halbschattigen Platz zwischen Bäumen und tatsächlich kann man von dort das Meer sehen – durch ein Loch im Gebüsch. Der Fußweg dorthin ist allerdings, wie wir später erleben, kein direkter und dauert knapp 10 Minuten. Schwer erkennbar sind auch die Grenzen der Stellplätze. Wir finden zwar eine vom Gras überwucherte Nummer 53, aber wo die buckelige Fläche beginnt oder aufhört – keine Ahnung.

Das führt schließlich dazu, dass wir Tür an Tür neben einem anderen Kastenwagen stehen, was wir ungern tun, um andere Gäste nicht zu belästigen, aber das sind Schweizer und mit denen kann man ja reden. Ob wir wir hier glücklich werden?

Ja, sieht ganz so aus. Ein Gang zum Strand hinunter bei untergehender Sonne genügt schon fast, um uns für diesen Ort einzunehmen. Und die Sonne, der Komfort eines Campingplatzes mit dem am Nachmittag schattigen Standort sowie die urige Fährverbindung in die Altstadt tun später den Rest, so dass wir noch drei Tage verlängern werden.

Close Ville

Der öffentliche Nahverkehr zur Altstadt

Unser erster Ausflug führt in die „geschlossene Stadt“, also die Altstadt innerhalb der Festungsmauern. Vom Campingplatz zur Fähre führt ein 1200 Meter langer Fußweg an der Küste entlang. Wer den Euro für die Überfahrt sparen möchte, kann den 2 ½ Kilometer langen Umweg um das Hafenbecken herum gehen. Das tun wir aber nicht, sondern steigen ein in das originelle Gefährt, das uns fast geräuschlos direkt zur „Porte des Larrons“ (Tor der Diebe), dem Eingang der Altstadt bringt. Zu hören ist nur die interessant zu beobachtende Hydraulik am Heck zum Drehen der Elektromotoren.

Trauernde oder Gaffer am Tor der Diebe?

Das Tor stammt wahrscheinlich aus den im 15. Jahrhundert errichteten Mauern. Sein Name, der bereits in Texten aus dem 16. Jahrhundert auftaucht, ist das alte französische Wort für Diebe. Tatsächlich wurden verurteilte Verbrecher von diesem Tor aus mit dem Boot über die Bucht zum Fuß des gegenüber liegenden Hügels gebracht, wo sich die Galgen befanden. Das Durchgang war mehr als drei Jahrhunderte lang ummauert und wurde 1991 in seinen heutigen Zustand zurückversetzt.

La Porte des Larrons – Das Tor der Diebe

Beim Anblick der Frauen auf dem Hinweisschild mit dem obigen Text, die in Richtung des Galgens blicken, muss ich an Jean Valjean  aus Victor Hugos Roman denken, der wegen eines Brotdiebstahls 19 Jahre Haft im Arbeitslager verbrachte.


Ausblicke von Stadtmauer

Gleich rechts hinter dem Tor sehen wir die Bühne, nicht ahnend, dass dort morgen eine sehr schöne Veranstaltung stattfinden wird. Heute aber treibt uns zunächst der Besucherstrom durch die gut 300 Meter lange und touristisch bestens ausgebaute Hauptstraße zum gegenüberliegenden Ende der Altstadt – zur Brücke mit dem Anker am Glockenturm. Dann steigen wir auf die Stadtmauer, um die vielen malerischen Ausblicke auf die Umgebung zu genießen.

Fische und Steaks – Blick über den alten Trawler zum neuen L‘Amiral

Dazu gehört auch der zu besichtigende Trawler Hemerica  hinter dem Fischereimuseum, und wenn man über dessen Bug hinweg in die Neustadt schaut, dann bleibt der Blick hängen am weißen Restaurant mit der roter Markise. Hier im L‘Amiral genießen Krimifans das 56 Euro teure Commissaire Dupin -Menü, dessen Zubereitung die Köche sicher im Schlaf beherrschen. „Entrecote Frites“, das Lieblingsgericht des Romanhelden, gibt es aber auch preiswerter in der Nachbarschaft vom Admiral. Gegessen haben wir das auch schon – vor 45 Jahren auf unserer Tramptour an die Côte d’Azur – damals hieß es einfach nur „Steak Frites“.

Les Gabiers du Passage

Henri Alphonse Barnoin: Fischerhafen Le Passage bei Concarneau

Auf unserem ersten Rundgang gestern haben wir die Plakate von den „Gabiers du Passage“ gesehen, einem Shantychor aus Concarneau, der dort heute eine Vorstellung gibt. Ich will natürlich wissen, was der Name bedeutet: Gabiers sind die Toppsgasten  unter den Matrosen und bei Passage handelt es sich um das Fischerviertel „Le Passage“ der ehemaligen Gemeinde Lanriec, deren Gebiet heute nur noch ein Teil von Concarneau ist. Lanriec war traditionell eine ländliche Stadt, während das Fischerviertel (auch Passage-Lanriec genannt) hier an der Mündung des Moros ein Ort von Seeleuten und Konservenarbeitern war. Der Name „Le Passage“ geht wiederum auf die jahrhundertelange Existenz einer Fähre zurück, mit der man an dieser Stelle die Flussmündung überquerte. Für die Leute aus der geschlossenen Stadt waren das alles nur Kuhhirten, weshalb die verachteten Bewohner von Passage den Spitznamen „Vachics“ bekamen. Inzwischen bezeichnen sich die Leute hier selbst so und sind stolz auf ihre Andersartigkeit. Wie zum Beweis haben sie die seit 2017 elektrisch betriebene Fähre „Le Vachic“ getauft.

Auf dem Weg zur Fähre: Eines der von Thézac gebauten rosa Seemannshäuser

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen auch hunderte von Seeleuten aus anderen Häfen hierher, um Sardinen in der Bucht zu fischen. Wenn sie gerade nicht auf See waren, trafen sie sich mit den lokalen Fischern zum Entspannen in den Tavernen von Concarneau und Le Passage und schnell wurde Trunkenheit ein Problem. Der wohlhabende Seemann und Philanthrop Jaques de Thézac  war so erschüttert von den Zuständen, dass er begann, "gesunde, gut geheizte, gemütlich eingerichtete Orte" zu bauen. Für diese „Abri du Marin“ (wörtlich: maritimer Schutzraum) genannten Häuser ließ er sich inspirieren von den Seemannshäusern der großen Handelshäfen. Die Gebäude waren Lebensräume, die sowohl als Zufluchtsort wie auch Gesundheitszentrum dienten (ab 1906 mit einer Apotheke ausgestattet). Darin befanden sich Leseräume mit praktischen Büchern und Reiseberichten, Spielzimmer, die mit Seekarten, Fotografien von Thézac oder christlichen und patriotischen Symbolen dekoriert waren, Vortragsräume zur Bekämpfung des Alkoholismus, Lehr- und Ausbildungszentren für Fischereiberufe, Werkstätten für die Reparatur von Schiff und Segel oder auch Orte, an denen Gymnastik betrieben wurde. Was es zu trinken gab? Nur Wasser und Kräutertee.

Die „Gabiers du Passage“ machen sich bereit für ihren Auftritt

Amazing Grace: Der kurze Auftritt des Dudelsackspielers

Und die Gabiers du Passage? Die sind toll. Okay, es wird fast alles in französisch gesungen und es fehlt ein wenig Leidenschaft, so dass viele Lieder für uns ähnlich klingen. Es ist allerdings auch ziemlich heiß, was auf der Bühne ohne Schatten sogar dazu führt, dass eine der Sängerinnen einen Schwächeanfall erleidet.

Höhepunkt für mich ist dann der einzige fremdsprachige Titel: Amazing Grace. Als die Sänger und Sängerinnen ihren Part beendet haben, kommt von der Seite ein Dudelsackspieler, der vorher neben uns im Publikum gesessen hat und auf dessen Einsatz wir schon gewartet haben. Das Lied beginnt von vorn nur mit den Instrumenten. Der Hammer!

Sonnenaufgang


Morgendlicher Spaziergang durch die noch menschenleere Altstadt

Es ist sechs Uhr und ich mache mich auf den Weg, um ein paar Bilder ohne Menschen zu machen. Außerdem will ich erforschen, ob es einen Weg um das Hafenbecken herum zur Altstadt gibt. Okay, ich könnte im Internet nachsehen, aber … hey, wo bleibt da der Entdeckergeist …

Hier geht es nach Hause

Ich finde einen Weg, etwas länger als nötig, die „Avenue Bielefeld-Senne“ entlang. Wenn ich morgen die gleiche Strecke mit dem Fahrrad wieder zurück fahren werde, wird mir ein ebenfalls radelnder Franzose mit schneller Auffassungsgabe entgegenkommen, der ohne Worte auf das begehbare Schleusentor zeigt. Schöne Abkürzung. Dafür weiß ich jetzt aber, dass es bis zuhause 1220 Kilometer sind. Aufmerksame Leute, die Bretonen.

Kehrseite der aufgehübschten Läden in der Altstadt

Noch netter finde ich, dass die Boulangerie in der Nachbarschaft vom L‘Amiral schon um halb sieben geöffnet hat und dass es dort – unüblich für französische Bäckereien – auch Kaffee gibt. So bekomme ich mein übliches Frühfrühstück, das ich am Kai entlang schlendernd genieße. Der Kaffee eignet sich übrigens auch für müde Hafenarbeiter, die morgens schlagartig wach werden müssen.

Tor des Weines: Wie wichtig muss Alkohol sein …

Fotografieren in einer Altstadt wie Concarneau ist so eine Sache – man weiß bei den malerischen Ecken nie so genau, was authentisch ist und was ein Themenpark. Kontrastprogramm sind denn auch die Hinterhöfe der schmucken Läden, die man von der Stadtmauer aus betrachten kann. Eine Ecke, wo mir das gedankliche Eintauchen in die Vergangenheit noch einigermaßen gelingt, ist das Tor des Weines („Port du Vin“) und der kleine Kai dahinter, über die früher sperrige Güter, insbesondere Wein, in die Stadt gelangten. Gerade morgens bei aufgehender Sonne ist das eine besondere Stimmung hier. Tagsüber (wenn Wasser da ist) bekommt man einen herrlichen Panoramablick auf den Hafen und die Promenade gegenüber.

So sehen moderne Frachtsegler aus …

Auf dem Rückweg komme ich an einem Segelschiff vorbei, wie ich es noch nie gesehen habe. Die Anemos  ist ein moderner Frachtsegler, der mit dem Ziel entwickelt wurde, den CO2-Fußabdruck des Gütertransports zu reduzieren.

Baden

… da turnt keiner mehr herum zum Setzen oder Einholen der Segel

Wenn man vom Campingplatz aus zur Küste hinunter geht, dann liegt gleich rechts ein kleiner Strand mit größeren Felsen an der Wasserkante. Links etwas weiter ist ein größerer Strand, aber das dicke Rohr, das dort ins Wasser führt, bereitet uns ein wenig Unbehagen. Unser erster Badeausflug führt deshalb an die „Plage de la belle Etoile“. Der Strand ist kieselig ich gehe zuerst ins Wasser, das ein klein wenig trübe ist. Und dann muss ich ein paar Algenplacken beiseite schieben und irgendwann schwimmt auch ein zerfleddertes papiertaschentuchgroßes Stückchen Plastik vorbei. Na ja, und ein dickes Rohr gibt es hier auch. Und viele Freizeitboote ankern in der Bucht. Okay, wir sind ja keine ausgesprochenen Badeurlauber und zugegebermaßen etwas empfindlich. Wenn wir Sandstrand und klares Wasser ohne Schwebeteilchen antreffen, dann gehen wir schwimmen. Sonst eben nicht. Marianne bleibt heute trocken.

“Schiffe gucken“ auf dem Küstenweg

Aber wir geben auch nicht so schnell auf. Unsere nächste Radtour führt über eine unerwartet schöne Strecke in das sechs Kilometer entfernte Pouldohan. Dort auf dem Parkplatz direkt am Eingang zum Strand angekommen öffnet gerade der Foodtruck La Firterie  und daneben befindet sich ein separater Bereich für ein paar Wohnmobile (Aire de Pouldohan ), die dort kostenlos dreimal übernachten dürfen. Sieht doch vielversprechend aus. Und die Badeanstalt? Perfekt.

Natürlich probieren wir die relativ teuren Pommes vom Truck. Ich bewundere beim längeren Warten in der Schlange davor die Professionalität und Ruhe der Bedienung hinter der Theke, die summend ihrer Tätigkeit nachgeht und immer wieder Zeit hat für ein kleines Schwätzchen mit der Kundschaft. Irgendwie scheinen die sich hier auch alle zu kennen. Und Pommestüten mit Dip-Ecke sehe ich das erste Mal.

Pont Aven

Fünf Tage haben wir auf dem Platz in Concarneau campiert und ein paar schöne Tage erlebt. Heute fahren wir fast wehmütig weiter ins Künstlerdorf Pont-Aven  (Tourismus-Seite ). Das wird nicht so schön. Pont Aven ist ein malerischer Ort, keine Frage, aber hier laufen um diese Jahreszeit einfach zu viele Leute durchs Bild.

Synthetismus: Vereinfachte Formen, starke Umrisszeichnung und fehlende Perspektive (Charles Laval)

Wenn du allerdings hier hin kommst, um eventuell ein Gemälde zu erwerben, dann kommst du voll auf deine Kosten, denn gefühlt jedes zweite Haus ist eine Galerie. Die hier ab 1886 arbeitende Künstlergruppe um Paul Gauguin und Émile Bernard entwickelte den Impressionismus  weiter zum Synthetismus . Dabei schufen die Künstler ihre Bilder teilweise aus der Erinnerung und das Gesehene wurde auf Wesentliches reduziert, so dass Form und Farbe die Gefühlsstimmungen der Maler unabhängig von der Wirklichkeit wiedergaben.

Die David-Mühle in Pont Aven (Gauguin)

Das Musée de Pont-Aven   zeigt Werke von Künstlern aus der Bretagne, aber auch Gemälde mit bretonischen Themen. Schwerpunkt ist die Zeit zwischen 1860 und 1970, als sich neben den französischen auch internationale Künstler in der Stadt aufhielten. Wir waren da nicht drin, und die Webseite macht auch nicht den Eindruck, als wäre Mehrsprachigkeit ein Anliegen des Hauses. Aber grundsätzlich finde ich es immer interessant, Ansichten auf Gemälden zu finden, die ich kurz vorher life gesehen habe. Und dafür muss man nicht unbedingt in dieses Museum, den an vielen Stellen, wo berühmte Bilder entstanden sind, stehen entsprechende Infotafeln.

David-Mühle (Quelle Bild rechts: Pierre Andre Leclercq)

Der Fluss Aven durchquert die Stadt und verwandelt sich dabei von einem die Felsbrocken umspülenden wilden Wasser in eine friedliche, von den Gezeiten und einigen Booten durchzogene fünf Kilometer lange Flussmündung. Auf dem Weg zum Atlantik drängelt er sich hier noch durch ein oder zwei Holzräder, die von den ehemals 14 Mühlen der Stadt übrig geblieben sind. Und dann wäre da noch das kleine Häuschen am Ufer für die großen und kleinen Geschäfte, das sich mittlerweile zum beliebten Fotomotiv entwickelt hat. Sieht aus wie aus dem Mittelalter, soll aber nach Informationen aus dem Internet erst 1932 gebaut worden sein. Da waren die Maler schon längst wieder weg.

Promenade Xavier Grall

Der ideale Ort für Mutproben – oder nasse Füße

Die Promenade Xavier Grall  führt den Besucher über versteckte Übergänge, an Waschplätzen und ehemaligen Mühlen vorbei von einem Ufer zum anderen. Die großen Brocken im Wasser – auch hier Chaossteine genannt – sind besonders reizvoll für Kinder und Jugendliche, die sich einen Spass daraus machen, von Stein zu Stein zu springen. Das das nicht immer gut geht, können wir an der Mutter beobachten, die mit nassen Socken in der einen Hand ein Kind an der anderen davon führt.

Sollte doch mittlerweile an die Kanalisation angeschlossen sein

Unser letzter Spaziergang führt ein Stück die Aven entlang durch den „Bois d‘Amour“, den Liebeswald, der viele der damaligen Künstler inspiriert haben soll. Den Aufstieg zur Kapelle Notre Dame de Trémalo  , die Gauguin berühmt gemacht hat, heben wir uns fürs nächste Mal auf.

Wir haben nur einen Nachmittag in Pont-Aven verbracht, aber ich denke, ich werde das idyllische Städtchen außerhalb der Saison noch einmal besuchen. Jetzt machen wir uns auf den Weg, um wieder mal einen Haufen Steine zu besichtigen. Auf nach Carnac.