Ich habe noch keine Innenstadt erlebt, wo uns auf Schritt und Tritt so viele Skulpturen begegnet sind wie in Magdeburg. Diesen grimmigen Typen hier habe ich gleich auf einer meiner ersten Morgentouren entdeckt. Ich will natürlich sofort wissen wer da seinen angestrengten Blick auf das Portal der Sankt-Petri-Kirche richtet.
Zwei Tage hat unser Pössl auf einem Parkplatz gestanden. Das war in diesem Fall auch kostenlos (wegen Sonn- und Feiertag), aber Campingverhalten ist ja auf Parkplätzen nicht erlaubt und so fühlten wir uns doch etwas eingeengt. Nun haben wir einen Stellplatz am Winterhafen – mit Toilette, Dusche und sogar einer eigenen Terrasse, von der aus man wunderbar den Sonnenuntergang genießen kann. Und die Kirmes am anderen Ufer ist nicht so laut wie befürchtet. Auch von der Brückenbaustelle hören wir kaum etwas – so ganz anders als bei uns zuhause nebenan, wo gerade (mittlerweile 18 Monate) eine Schule lautstark umgebaut wird. Dieser Platz hingegen ist perfekt für ein paar ruhige Tage.
Hidden Figures
Für meinen morgendlichen Stadtrundgang muss ich mich jetzt allerdings aufs Rad schwingen und ein Stück fahren. Damit vergrößert sich mein Erkundungsradius und so komme ich auch am Bahnhof vorbei. Dort entdecke ich eine Croback-Theke. Okay, diese Internetseiten enthalten prinzipiell keine Werbung, aber das muss ich mal sagen: meiner Erfahrung nach gibt es bei Croback die besten (und wohl teuersten) Croissants in Deutschland. Ein noch kühler, langsam anbrechender Tag auf dem geschäftigen Bahnhofsvorplatz mit heißem Kaffee und röschem Gebäck aus einem Blätterteig, der seinen Namen auch verdient. Herrlich.
Irgendwann komme ich an der St.-Petri-Kirche vorbei und dort kauert er gebeugt über sein Schreibpult mit strengem Blick zum Eingangsportal. Albertus Magnus steht auf dem Schild am Fuß der Skulptur. Magnus? War das nicht der Kirchengelehrte, der versucht hat, den christlichen Glauben auf ein wissenschaftliches Fundament zu stellen? Eine spätere Recherche wird die Vermutung bestätigen. Der grimmig wirkende Bursche war einer der großen Universalgelehrten des 13. Jahrhunderts und vielleicht haben sich ja auch Trauer und Enttäuschung in das Gesicht hier eingegraben, weil dieser Albertus insgeheim ahnt, das Glaube und Wissenschaft nicht vereinbar sind.
Das Werk stammt von Heinrich Apel, der wie kein anderer seine künstlerischen Spuren in Magdeburg hinterlassen hat. Deshalb hat ihm die Stadt auch einen Kunstpfad gewidmet. Weitere bemerkenswerte Werke von Apel sind der Faunbrunnen in der Leiterstraße sowie die beiden vor dem Portal Krieg und Frieden der Johanniskirche befindlichen Bronzeskulpturen Mutter und Kind und rechts daneben Trümmerfrau. Das Ensemble soll an die Zerstörungen des 30jährigen Krieges und des 2. Weltkriegs erinnern. Besonders beeindruckend ist der angsterfüllte, fast panische Gesichtsausdruck der Mutter, die sich schützend über ihr Kind beugt.
Der Faunbrunnen wird auch Teufelsbrunnen genannt – passt eigentlich nicht, denn zu den unverhüllten Figuren um den Brunnen herum passen Faune viel besser. Vielleicht hat Apel noch den Hund hinzugefügt, damit das Werk dann doch nicht ganz so ernst genommen wird. Genial.
Die Plastik zur Rettungstat des Hauptmanns Igor Belikow hätte ich mir auch noch gern angesehen. Ebenfalls zu spät erfahren habe ich von der bewegenden Symbolik der trauernden Magdeburg (nicht von Apel), eine Skulptur, die bei einem der verheerendsten Bombenangriffe des 2. Weltkriegs die Zerstörungen der Johanniskirche überstanden hat.
Magdeburg hat noch mehr Kunst auf seinen Straßen und Plätzen zu bieten (besonders im Skulpturenpark ), mal schön, mal hässlich und mal einfach nur Kunst, aber zum Denken anregend allemal. Wenn du mehr über das wirklich üppige Angebot an Skulpturen und Reliefs in dieser Stadt erfahren möchtest, dann schaue dir mal die wunderbare Webseite von Harald Brünig an.
Okay, genug „hidden figures“ (ein wunderbarer Film übrigens), kommen wir jetzt zu etwas völlig anderem. Halt, eine Sache noch: Was würdest du denken, wenn du auf deinem Spaziergang erst zwei Liebende entdeckst und unmittelbar danach die einzige Stelle mit Skulpturen von Müttern, Kindern und Jugendlichen direkt neben dem Kloster unserer lieben Frauen ?
Der Wissenschaftshafen
Arbeiten von Heinrich Apel in der Innenstadt.
Wir fahren die Elbe-Radtour und ich rechne zumindest auf dem ersten Teil des Wegs links die Elbe hinunter nur mit Natur. Plötzlich fällt mir eine ungewöhnliche Struktur links in einem Seitenweg auf. Ich biege ab und da liegt ein größeres Schiff … auf Schotter. Vor mir erstreckt sich das Gelände vom Schiffsmuseum im Wissenschaftshafen . Ruhm für meine Entdeckung ernte ich keinen, denn – wie mir meine zurückliegende Navigatorin später erklärt – führt der Elberadweg sowieso hier entlang.
Ich fahre vorbei am Taucherschacht II , am Eimerkettenschwimmbagger „Otter“, am Kettenschleppdampfer Gustav Zeuner (Öffnungszeiten ) und weiter über die restaurierte Hubbrücke zum … noch eine Überraschung … Bahnmuseum der Magdeburger Eisenbahnfreunde – allerhand Fotomotive, aber leider ungünstige Lichtverhältnisse.
Wir verlassen „kurz“ den Magdeburger Elbe-Radweg und machen noch einen Abstecher zum Neustädter See. Hier wird uns dann klar, das wir tatsächlich Herbst haben und damit die Bade(see)zeit vorbei ist. Der Rundweg um den See ist zwar ganz nett, aber die ersehnte Gastronomie ist schon im Winterschlaf. Gut das wir noch Studentenfutter dabei haben.
Elbauenpark
Eine weitere Radtour führt uns zum Elbauenpark – das ist das ehemalige Gelände der Landesgartenschau von 1999. Wir sind auf unserer Irrfahrt bei der Ankunft in Magdeburg schon hier vorbeigekommen. Da war es schon dunkel und einige der mit Lichterketten reizvoll illuminierten Figuren der Lumagica konnte man von der Straße aus sehen. Heute sind wir aber hier wegen dem 60 Meter hohen Ausstellungs- und Aussichtsturm, der auf fünf Etagen wissenschaftliche Errungenschaften der Menschheit im Verlauf der letzten 6.000 Jahre zeigt – deswegen auch Wissenschafts- oder Jahrtausendturm genannt.
Das architektonisch interessante, schon etwas in die Jahre gekommene und eigentlich nur für die Dauer der LGS vorgesehene Gebäude mit der begehbaren Außenrampe wurde zwar 2016 aufwendig renoviert, aber im Innenbereich funktionieren ein paar der Exponate nicht mehr oder sind schon etwas „abgegriffen“ (Anfassen ist hier ausdrücklich erwünscht). Manchmal wirkt die Auswahl der Ausstellungsstücke auch etwas zusammengestöpselt. So spendete ein Mitbürger ein Diorama mit Szenen aus dem 30jährigen Krieg, was aber nicht als solches gezeichnet ist, weil man nicht weiß, ob die Darstellung authentisch ist.
Aber abgesehen von solchen Kleinigkeiten ist die Ausstellung großartig. Es gibt natürlich viel zu lesen, aber auch vieles zum Anschauen und Ausprobieren – gut geeignet also für Familien mit Kindern. Schon wenn man die überwiegend mit Holz gestaltete Eingangshalle (praktisch das komplette Erdgeschoss) betritt, wähnt man sich in einer anderen Welt. Hier gibt es unter anderem zu sehen: ein Foucaultsches Pendel, eine archimedische Schraube mit Tretrad (funktioniert noch, habe es getestet), einen automatischen Tempeltür-Öffner nach Heron, das Schatzhaus der Athene mit Klangmaschine, ein historisches ägyptisches Nilschiff, ein römisches Haus und mehr .
Bevor wir nach drei Stunden den Turm mit dem Gefühl verlassen, nicht genügend Zeit (und Konzentration) für alles gehabt zu haben, genießen wir noch die imposante Aussicht von der Spitze des Turms. Eigentlich müsste man öfter wiederkommen und sich jedes Mal auf einige wenige Themen beschränken. Das würde 28 Euro kosten. Dafür bekommen Erwachsene eine Jahreseintrittskarte für den Elbauenpark inklusive Jahrtausendturm und Schmetterlingshaus. Ein Tag kostet 8 Euro (alle weiteren Preise ).
Jetzt haben wir Hunger. Direkt hinter dem Turm befindet sich eine Terrasse mit Gastronomie der feinen Art. Dem kehren wir nach kurzem Zögern den Rücken und fragen einen der draußen stehenden Mitarbeiter vom Turm nach einer Möglichkeit, einen kleinen Imbiss zu sich zu nehmen. „Da vorne im Rosengarten gibt es was ...“, sagt er, weist uns den Weg und ergänzt: „… für normale Leute.“ Gut beobachtet.
Danach fahren wir mit den Rädern noch ein wenig durch den Park (ausdrücklich erlaubt). Wir kommen am Kletterfelsen vorbei, der aus aufgestapelten Betonteilen besteht, die mal bei der Sanierung von Plattenbauten angefallen sind. Ein spezielles Anspritzverfahren sorgte für den felsig anmutenden Überzug. Wir bleiben eine Weile stehen und beobachten fasziniert, wie eine junge Mutter ihrem Partner das Baby reicht und dann scheinbar mühelos die 25 Meter bis nach oben steigt.
In der Dämmerung fahren wir zum Stellplatz zurück. Ein wunderbarer Tag geht zu Ende. Und die Herbstferien tun es auch. Es ist Freitag und das Wetter zieht sich wieder so zu wie bei unserer Ankunft. Fast scheint es so, als hätte sich Petrus nur für unseren Ausflug zusammengerissen. Ob uns Magdeburg gefallen hat? Absolut. Natürlich hatte die Sonne einen nicht unerheblichen Anteil daran. Wir werden wiederkommen.
Quellen (nicht eigener Bilder):
1) Die trauernde Magdeburg in der Johanniskirche: Olaf Meister, Wikipedia
2) Die zerstörte Johanniskirche 1945: Reproduktion aus Geschichte der Stadt Magdeburg, Autorenkollektiv, Berlin, 1975, S. 329)