Hamburg ist das Ziel …, nein, der Endpunkt unserer Romantikreise. Hier werden wir uns die Ausstellung von Caspar David Friedrich ansehen. Die ist für uns am Mittwoch. Wegen der Osterferien reisen wir schon Sonntag an – in dem Glauben, weniger Probleme beim Ergattern eines Stellplatzes zu bekommen.
Das wäre aber nicht nötig gewesen. Der Wohnmobilhafen im Stadtteil Hammerbrook ist zwar gut belegt, aber einige wenige Plätze werden in den nächsten Tagen immer frei sein. Da stehen wir nun, und haben zwei Tage Zeit für ein paar Spaziergänge in der Hansestadt.
Unsere erste Runde führt uns die direkt am Stellplatz liegende Süderstraße hinunter zum Viktoriakai-Ufer, wo man einen der vielen Kanäle entlanggehen kann. Eigentlich wollen wir nach der Anfahrt nur ein wenig frische Luft schnappen und deshalb habe ich meine Kamera an Bord gelassen. Zu dumm, denn am Kai entdecken wir die Hausboote. Zuerst halten wir die Siedlung nur für ein paar schwimmende Büros, aber es sind tatsächlich etliche Pontons – und darunter eben auch Wohnungen. Der Spiegel hat 2016 eine längere Fotoserie darüber veröffentlicht. Die Boote sind also schon etwas älter, und das sieht man ihnen teilweise auch an. Trotzdem eine interessante Alternative – sind ja fast so was wie Wohnmobile. Auch die Architektur des Berliner Bogens beeindruckt uns. Kein Wunder, denn wie ich später erfahre, soll durch die beiden Fassadenebenen und sechs integrierte Wintergärten als klimatische Pufferzone zwischen dem inneren Gebäude und dem Außenraum ein Mikroklima entstehen, dass eine herkömmliche Klimaanlage überflüssig macht und so die Heiz- und Betriebskosten fast halbiert.
Baumwall bis Elbphilharmonie
Wir haben jetzt eine Nacht auf dem Stellplatz verbracht. Die erwartete Lärmbelästigung durch die S-Bahn über uns ist ausgeblieben. Da war so mancher LKW auf der Straße hinter uns schon lauter. Wir sind dennoch froh, einen Platz in der hintersten Ecke statt direkt unter der Brücke bekommen zu haben.
Auf meiner Morgenrunde habe ich uns die Hamburg-Card aus dem Bahnhof geholt. Das HVV-Büro dort öffnet schon um 7 Uhr. Die Hamburg-Card kostet für Gruppen bis 5 Personen für 3 Tage 52,90 €. ÖPNV-9-Uhr-Gruppen-Karten würden uns 3 mal 14,10 € kosten – also 10 € weniger. Das haben wir durch die Ermäßigung der Kunsthalle allein schon fast wieder heraus. Außerdem: 9 Uhr? Da habe ich meine erste Tour schon hinter mir.
Heute möchten wir durch den Hafen schlendern. Dazu fahren wir mit der S3 die eine Station zum Hauptbahnhof und dann mit der U3 zur Station Baumwall. Und dann laufen wir eine der Touristikrouten ab: U3 Baumwall – Fischbrötchen an der Jan-Fedder-Promenade – Landungsbrücken – DJH Terrasse – Michaeliskirche – Plaza der Elbphilharmonie
Wir steuern eine der ersten Imbissbuden an und schlucken schon beim Betrachten der Preistafel: 7,90 € für ein Backfischbrötchen. Zuhause bekommen wir dafür 2 Stück. Dafür ist das Teil hier umso größer und ich bin danach erst mal richtig satt. Die Idee einer großen Fischimbisskette (wie in Görlitz erfahren), beim Kauf eines Backfischbrötchens einen Gutschein auszuhändigen, womit man beim nächsten Kauf einer ebensolchen Mahlzeit eine zweite kostenlos dazu bekommt, macht wohl Sinn.
Unser Fischbrötchen genießen wir noch in der Sonne, aber danach beim kurzen Gang zu den Landungsbrücken verschwinden plötzlich die Kräne am Horizont wie im Nebel. Der graue Himmel kündigt einen schweren Schauer an und ich halte hektisch Ausschau nach Unterstellmöglichkeiten. Falscher Alarm – der Wolkenbruch zieht gut zu beobachten auf der anderen Seite der Elbe an uns vorbei.
Wir gehen eine der Landungsbrücken hinunter und stoßen auf die britische Fregatte HMS Portland , die dort für ein paar Tage festgemacht hat. Zwei Wachen mit Maschinenpistolen in Bereitschaftshaltung oberhalb der Gangway, eine Tafel mit den Stufen verschiedener Aspekte terroristischer Bedrohung unterhalb davon, abgedeckte Kanonen, das konstante Brummen aus dem grauen Schiffskörper während wir daran entlanggehen – das Ganze wirkt schon etwas einschüchternd, wenn man so aus einer „heilen“ Welt kommend urplötzlich vor diesem kraftstrotzenden Ungetüm steht.
Neben der S-Bahn-Station Landungsbrücken geht eine Treppe hoch zur Terrasse der Jugendherberge. Von dort hat man einen schönen Ausblick auf den Hafen. Während ich die Gegend abfotografiere, kommt Marianne mit einem Norddeutschen ins Gespräch, der ihr einiges erzählt über Containerschiffe und die Mammutprojekte Elbvertiefung und Elbtunnel . Für mich interessant: das Tunnelsyndrom . Neu für mich war auch, dass mit Mike Krüger ein (Blödel-)Sänger und Komiker aus meiner Jugend während seiner Ausbildung zum Betonbauer im Tunnel zu einem seiner Songs inspiriert wurde. Wir werden später mal kurz in den Schacht zum alten Elbtunnel schauen, der ingenieurtechnischen Meisterleistung der vorletzten Jahrhundertwende.
Eines der Wahrzeichen von Hamburg, den Michel, also den Turm der St. Michaelis Kirche in Altona, habe ich schon ein paar Mal aus der Ferne erblickt. Nichts Besonderes, habe ich immer gedacht, aber wenn man dann vor der Kirche steht, dann sieht das ganz anders aus. Der 132 Meter hohe, mit Kupfer verkleidete, abgerundete Turm bildet einen auffälligen Kontrast zur dazugehörigen Barock-Kirche, die zu den schönster ihrer Art in Norddeutschland zählt. Klaus-Dieter Wupper hat ein paar schöne Bilder dazu veröffentlicht. 452 Stufen (oder der Aufzug) führen hinauf zur Aussichtsplattform des Turms, von der aus man (bei schönem Wetter) weite Blicke über Hamburg werfen kann.
Für den Ausblick von der Plaza der Elbphilharmonie (oberhalb der roten Backsteine) gibt es ein kostenloses Ticket
Letzter Programmpunkt unseres heutigen Spaziergangs ist die Plaza der Elbphilharmonie. Wer dort über die zwei Rolltreppen hinauf schweben und die schöne Aussicht auf den Hafen genießen möchte, der muss allerdings etwas Geduld mitbringen. Die Tickets sind kostenlos und die Warteschlange entsprechend lang.
Das ersparen wir uns dann doch und schlendern stattdessen den Strandkai in der Hafencity entlang. Dieser Stadtteil, so stand es 2020 in der SZ : „… ist für viele Superlative gut. Hier stehen die teuersten Wohnungen der Metropole, viele prämierte Bürogebäude, bald Hamburgs erster Wolkenkratzer, von Herbst 2022 an das größte Einkaufszentrum der Stadt und mit der Elbphilharmonie seit 2017 ein aufsehenerregendes Konzerthaus.“
Nun ja, der Bau des Elbtowers , „kurzer Olaf“ genannt, wurde gestoppt, weil der Bauherr pleite ist, und das Einkaufszentrum steht erst jetzt kurz vor der Vollendung. Viel interessanter ist allerdings, dass in Hamburg seit 2011 der sogenannte „Drittelmix“ gilt, nach dem bei jedem Bauvorhaben ab 30 Wohneinheiten jeweils ein Drittel frei finanzierte Mietwohnungen, ein Drittel Eigentumswohnungen und ein Drittel geförderte Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung entstehen sollen. Wir spazieren also durch ein neues Viertel, in dem Luxuswohnungen nicht weit entfernt liegen von sozial gefördertem Wohnraum. Beispielhaft.
Morgenrunde
Ich wache früh am Morgen auf und wie immer stelle ich mir die Frage: „Bleibe ich liegen oder störe ich den leichten Schlaf meines Schatzes durchs Aufstehen?“ Der Gedanke an einen menschenleeren Hafen mit Sonnenaufgang ist allerdings zu reizvoll.
Der Kiosk im S-Bahnhof Hammerbrook am Stellplatz macht morgens schon um 5 Uhr auf. So früh habe ich noch nie mein gewohntes Frühstück bekommen. Hier lerne ich auch, dass man mit der S3 direkt zu den Landungsbrücken fahren kann. Und so bin ich knapp 10 Minuten später im Hafen und laufe die Tour von gestern noch einmal ab – etwas schneller als gestern.
Neumühlen/Övelgonne bis Teufelsbrück
Auch die nächste Tour hat Marianne geplant. Wir fahren mit der Fährlinie 62 (Richtung Finkenwerder) ab Landungsbrücke 3 bis nach Neumühlen/Övelgönne. Auf der Fahrt nimmt ein Hamburger den Text „Moin, moin“ auf Mariannes Mütze zum Anlass ins Gespräch zu kommen. Er erzählt ihr ein paar Details zu unserer Route und lässt sich am Ende das Versprechen abnehmen, bei einer der besten Fischbuden Hamburgs unsere Zwischenmahlzeit einzunehmen. Da wir ihn später genau vor dieser Bude mit einem Bekannten ein Bier trinken sehen, können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass er gezielt Kunden hier hin lotst.
Ich liebe ja Backfisch und ausgerechnet den gibt es hier nicht und so habe ich mal Matjes mit Zwiebeln genommen – knuspriges Brötchen zwar und frisch belegt, aber mit tropfnassem Fisch, was das Essen doch etwas anstrengender macht. Ich sag mal so: Für Leute, die Matjes lieben, wäre das eine erstklassige Mahlzeit.
Der Museumshafen genau an der Anlegestelle ist ganz nett. Es liegen einige Boote dort und am Geländer des Landungsstegs sind Plaketten mit Infotexten dazu angebracht. Wir halten uns aber nicht lange hier auf, sondern marschieren die 3,7 Kilometer zur nächsten Anlegestelle nach Teufelsbrück. Der Weg in Övelgönne (interessanter Namensursprung ) führt am Elbstrand entlang vorbei an über 100 Jahre alten Fischer- und Kapitänshäusern. Dabei sehen wir auch den alten Schweden , ein 1999 aus der Elbe geborgener, 217 Tonnen schwerer Findling, der vor 400.000 Jahren aus Schweden eingewandert ist. Auch der Anleger Teufelsbrück am Ende der Route ist sehenswert – zumindest die Teufelsstatue am Ortseingang.
Von dort fahren wir über Finkenwerder zurück zu den Landungsbrücken. Die Hamburger Touristik bewirbt die Fahrt gerade mit diesen Fähren der Linie 62 als günstige Alternative zur Hafenrundfahrt. Und in der Tat sind diese kleinen, mit Werbung überzogenen „Schaukelschiffe“ mit ihrer Seitwärtsfahrt schon beim Anlegen ein Hingucker.
Caspar David Friedrich
Und dann war da noch Caspar . Wir haben den Besuch der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle von unseren Kindern zu Weihnachten bekommen, und das war wieder mal ein Volltreffer. Ich kenne seine „Rückenbilder“ schon lange und mag den romantischen Einschlag nicht nur seiner Kunst. Aber je mehr ich als Vorbereitung auf die Ausstellung darüber lese, desto mehr wir mir klar, dass Caspar ab jetzt zu meinen Lieblingsmalern gehört. Warum? Ich zitiere mal den Künstler: „Male nicht das, was du vor dir siehst, sondern male das, was du in dir siehst. Wenn du nicht sehen kannst, was in dir ist, so unterlasse es zu malen.“
Viele von Caspars „naturgetreuen“ Bildern sind Kompositionen. Die Klippen in „Kreidefelsen auf Rügen “ zum Beispiel, ein Hauptwerk der Romantik, gibt es in dieser Anordnung nicht – sie sind eine Komposition, die Friedrich über Skizzen von verschiedenen Felsen zusammengestellt hat. Eine mögliche Bedeutung des Bildes erschließt sich über die Identifizierung der dargestellten Personen. Bei Wikipedia kann man Einiges darüber nachlesen, ich habe da aber auch meine eigene Vorstellung.
Und das finde ich so interessant an diesen Bildern. Man kann sich so seine Gedanken machen über mögliche Botschaften, ohne (wie wir) viel von Kunst verstehen zu müssen. Was beim Eismeer noch offensichtlich ist (die Überheblichkeit der Menschen, die glauben, die Natur beherrschen zu können), bleibt bei „Winterlandschaft mit Kirche“ vorerst im Dunkeln. Warum liegen die Krücken da? Braucht der Mann sie vor lauter Ergriffenheit nicht mehr, oder haben sie dieselbe Funktion wie der aus Eisschollen gebildete Pfeil im Eismeer? Faszinierend.
Wir bleiben relativ lange in der Kunsthalle. Das liegt neben unserer Begeisterung auch daran, dass wir das erste Zeitfenster um 10 Uhr gewählt haben und wie viele andere Leute auch schon vor der Öffnung da waren, in der Erwartung, „als erste“ etwas mehr Raum zu bekommen. Wie naiv. Der erste Raum ist so voll, dass uns ein Aufseher empfiehlt, von hinten nach vorn zu gehen. Ein guter Tipp. Trotzdem gehen wir ein paar Mal hin und her. Jens hatte uns empfohlen, die Ausstellung abends zu besuchen. Macht Sinn, aber wir sind morgens irgendwie aufgeweckter für solche Exkursionen.
Der Wohnmobilhafen ist was Abreisezeiten betrifft sehr kulant, und so verlassen wir gegen 15 Uhr Hamburg und machen uns auf dem Weg nach Lübeck.