Vor 7000 Jahren haben sich Menschen überlegt, hier ein paar Steine in der Landschaft zu verteilen. Warum? Das weiß keiner so genau. Und wo Erkenntnisse fehlen, da breiten sich Mythen und Legenden aus. Die schönste in diesem Fall ist die von den zu Stein erstarrten Soldaten der römischen Armee.

Unser Stellplatz

Wir haben unser gemütliches Nest auf dem Campingplatz in Concarneau verlassen und sind etliche Kilometer (über 70) weiter gefahren nach Carnac. Die Fahrt über eine der vielen Nationalstraßen war entspannt. Das ist ja auch einer der angenehmen Aspekte in diesem Teil von Frankreich: die Bretonen haben wohl keine Lust, eine Mautinfrastruktur aufzubauen, und so durchzieht die Bretagne ein Netz zweispuriger Nationalstraßen, die genauso bequem zu befahren sind wie unsere Autobahnen.

Weniger bequem war die Anfahrt zum Stellplatz , was aber wahrscheinlich am mangelhaften Mobilfunk-Empfang lag. Irgendwann bin ich dann einfach einer italienischen Landyacht hinterher gefahren, von der ich annahm, dass die wohl dasselbe Ziel haben. War tatsächlich so.

Die Steinalleen von Kermario

Carnac in der Nähe vom Golf von Morbihan hat wunderschöne Strände, das Wasser ist kristallklar, der Sand ist fein, und im Hinterland blühen Heidekraut und Stechginster auf duftenden Pinienhügeln. Das ist aber nicht der Grund, warum der Ort bekannt ist. Man fährt hierhin vor allem wegen der geheimnisvollen „Alignements de Carnac“, den Steinreihen aus dem Neolithikum , die sich kilometerlang hinziehen und zwischen 5000 und 3000 v. Chr. entstanden sind. Dieser Steinwald ist die größte Anordnung von Hinkelsteinen  weltweit. Die Brocken werden auch Megalithen genannt (griechisch: mega=groß und Litos=Stein).

Die Steinrei(c)hen

Karte auf dem Stellplatz

Der rote Marker mit dem Text „Vous étes ici“ („Sie sind hier“) markiert den Standort der Karte auf dem Stellplatz. Wir gehen den grünen „Sentier Aménagé“ nach Osten die Steinfelder  entlang und sind angenehm überrascht.


Steinbrocken bis zum Abwinken

Es gibt Reiseführer im Netz, die schnell mit dem Begriff Touristenfalle hantieren, wenn es um beliebte Sehenswürdigkeiten geht und klar, in der Hochsaison sind die Spots schnell überlaufen und nicht selten stößt man etwa in der Gastronomie auf qualitativ weniger gute Angebote für einen höheren Preis. Und auch klar, Natur verliert viel von ihren Charme, wenn ständig große und kleine Leute durchs Bild laufen. Aber jeder hat seine eigenen Grenzen, bei denen es anfängt unangenehm zu werden. Bei uns sind das erst viele Leute auf begrenzten Raum, wie etwa an einem sonnigen Wochenende auf einer Kirmes in Ostwestfalen – oder auf der Hauptstraße in Pont Aven, durch die sich auch noch der ganze Fernverkehr quält.


Ein nicht aufgeräumter Wald mit Mauerwerk und blühendem Heidekraut

Hier bei den Steinfeldern von Kermario  dagegen verläuft sich die Masse auf den zugegebenermaßen genau dafür „begradigten“, also mit Stegen und Brücken versehenen Wegen. Und auch die Befürchtung von Marianne, in der prallen Sonne nur durch ein Labyrinth von Steinklötzen laufen zu müssen, hat sich nicht bestätigt. Neben den Steinfeldern gibt es schattige Strecken durch Wiesen und unaufgeräumten Wald, die gerade jetzt mit dem blühenden Heidekraut schön anzusehen sind. Picknickplätze und (Liege-)Wiesen laden zum Entspannen ein.

Hier kann man sich auch mal entspannen

Einen spürbaren Nachteil hat dieser Ort in der Hochsaison allerdings doch: zwischen April und September darf man sich innerhalb der drei berühmten Steinreihen nur im Rahmen einer kostenpflichtigen Führung bewegen – also wieder viele Leute auf ...

Saint Cornély

Wir betrachten das ganze mehr als Spaziergang denn als archäologische Expedition und genießen die Felder mehr wegen der Optik. Obwohl … ein bisschen muss ich schon daran denken, welche Ehrfurcht unsere Vorfahren wohl besonders vor den Steinkreisen am Ende der Reihen empfunden haben müssen, die wohl als Anbetungsorte genutzt wurden – Gefühle, die sogar ich als nicht religiöser Mensch heute noch beim Besuch mancher Kirche ansatzweise spüre.

Der 6 Meter hohe Gigant von Manio schaut skeptisch

Wissenschaftler haben durch experimentelle Archäologie  (unter anderem durch Verwendung der in Gräbern gefundenen Werkzeuge) inzwischen herausgefunden, wie die Brocken aus den Steinbrüchen heraus gebrochen wurden, aber deren Transport zum Aufstellungsort bleibt weiterhin ein Rätsel. Von den Legenden, die sich um die Entstehung der Felder ranken, finde ich die vom heiligen Cornelius  am besten:


Die idyllische Creperie von Celine mitten im Steinfeld von Kermario

Im Jahr 253 nach Christus wollte man Cornelius in Rom dazu zwingen, dem Kriegsgott Mars zu huldigen. Der (später) Heilige weigerte sich und floh in die Bretagne. Einer der (damals vier) römischen Kaiser schickte ihm eine Armee hinterher. Als Cornelius Gott um Beistand bat, verwandelte sich nähernde römische Armee in die Menhire.

Die wahre Geschichte endete leider tragisch. Apropos heilig: Obwohl die Bretagne das Land der Zauberer, Geister, Feen, Dämonen und Dämoninnen ist, ist sie zugleich die Region Frankreichs mit den meisten Heiligen. Einige sind außer in dem Dorf, in dem sie verehrt werden, gar nicht bekannt. Cornelius gilt etwa als Schutzpatron bei Viehkrankheiten – nicht etwa, weil er sich zu Lebzeiten in dieser Richtung betätigt hätte, sondern weil in seinem Namen das lateinische Wort cornu (=Horn) steckt.

Auf dem Rückweg machen wir Rast in der Creperie von Celine – ein netter kleiner Betrieb mitten im Steinfeld von Kermario mit Ausschank am Fenster, einfachen Sitzgelegenheiten und freundlicher Bedienung.


Schon der Weg zum Tumulus ist eine Augenweide

Der Mont St. Michel der Bretagne

Etwas abseits der grünen Route liegt die Tumulus St-Michel  und diesen Abstecher solltest du dir unbedingt gönnen, denn die namensgebende Kapelle steht oben auf dem wahrscheinlich höchsten Grabhügel Europas. Allein der Weg dorthin ist schon den knappen Kilometer Fußweg vom Stellplatz aus wert: kuriose Baumformationen, schmale Pfade und schöne Ecken (wie etwa die Site Guillevic ) en gros. Und gerade jetzt bringen die Flecken blühenden Heidekrauts reizvolle Farbtupfer in der Landschaft.

Kette aus der Grabkammer

Am Ende geht da eine steinerne Treppe hoch zur Kapelle aus dem 17. Jahrhundert, in der nur einmal im Jahr am 1. September eine Messe stattfindet. Darunter in der Mitte des Tumulus wurde um 1900 herum eine zentrale, allseits geschlossene megalithische Kammer freigelegt. Auf dem Boden aus flachen Steinen lagen verbrannte menschliche Knochenreste. 39 Steinbeile (viele aus Jadeit  und Fibrolith ) steckten mit der Schneide nach oben in der Erde. Ferner barg man zehn Anhänger und eine Kette mit 97 Perlen aus Callaïs  sowie Reste einer Perlenkette aus einer Art Elfenbein.

Am Strand

Am Strand: Kristallklares Wasser, feiner Sand und sportliche Aktivitäten

Bereitmachen zum Sprung

Gegen Abend radeln wir die knapp vier Kilometer bis zum belebten Strand von Carnac und schauen dort dem Treiben der Wassersportler zu. Die Kaimauer scheint bei den jugendlichen Springern sehr beliebt zu sein und kaum sage ich, dass es wieder mal die Jungs sind, die hier springen oder auf den Motor- und Segelbooten hantieren, steigt ein Mädchen aus dem Wasser die Leiter hoch auf die Mauer und ein weiteres macht sich bereit zum Sprung.

Zurück zu den Steinen

Der alte Mann und der Wal

Wir haben nun genug Granit gesehen und denken, dass uns keine Steinformation mehr beeindrucken kann. Falsch. Am letzten Tag wollen wir noch einmal durch die Altstadt von Carnac schlendern und der schönere Weg dorthin führt an den Steinreihen von Le Menec  vorbei – das ist die grüne Tour nach Westen. Dieses Feld ist eines der größten mit 1169 Steinen in 12 Reihen. Am westlichen Ende steht ein größerer, als „Grand Menhir“ bezeichneter Stein. Beeindruckend an diesem landschaftlich weniger interessanten Feld ist, dass hier viele größere Steine auf engem Raum zusammenkommen. In zweien davon haben wir sogar einen Menschen und einen Wal erkannt. Unsere Entscheidung, die grüne Tour auf zwei Tage zu verteilen, war also goldrichtig, weil … irgendwann ist man einfach steinmüde.

Carnac hat uns supergut gefallen. Trotz Hochsaison. Vielleicht kommen wir nächstes Jahr außerhalb der Urlaubszeit noch einmal wieder und schlendern dann (eventuell allein) mitten durch diese Felder.

Das westliche Ende der Steinreihen von Le Menec