Nantes war eine der zentralen Drehscheiben beim Transport von Sklaven in die neue Welt. Wir wollen uns mal ansehen, wie hier mit der Vergangenheit umgegangen wird und dafür ist ein Besuch des historischen Museums im „Chateau de Ducs“ geplant. Außerdem bin ich neugierieg auf den Bruder des Drachens von Calais.
Dieser Text enthält Werbung für ein Produkt, einen Laden oder eine Institution. Werbung in unseren Texten ist immer unbezahlt.
Nach dem wir die heißen Tage auf dem Campingplatz in Savenay (22 Euro) überstanden haben, wollen wir nun wieder etwas preiswerter übernachten. Marianne hat sich den Stellplatz (13 Euro) direkt neben einem Campingplatz (40 Euro) in Nantes ausgesucht und wir haben eine schöne Ecke ergattert. Wir sind relativ früh (zwischen 12 und 1), können uns einen Platz aussuchen und machen wieder einmal die Erfahrung, dass diese Zeit günstig ist und viele Stellplätze sich dann im Lauf des Nachmittags füllen.
Tag der Irrtümer
Over 27,233 slave trading expeditions were recorded leaving European ports between the 15th and the 19th century! In total more than twelve and a half million men, women and children were torn from Africa and deported to America and the Carribbean. Over one and a half million people died during the crossing.
Over 4,220 of these slave trading expeditions were recorded setting out from French ports, over 1,380,000 people deported.
Over 1,800 slave trading expeditions were recorded setting out from the port of Nantes, with over 550,000 people deported.
The plaques of this commemorative circuit give the names of these slave ships from Nantes and the ports where they put in.
Nach einer schnellen Mahlzeit nehmen wir für 2,50 Euro den ◎ Bus der Linie 2, der uns bis zur ◎ Endhaltestelle „Hotel Dieux“ bringt – im Nachhinein betrachtet wären wir für unseren Stadtbummel besser schon ◎ eine Station eher ausgestiegen.
Wir bummeln etwas orientierungslos durch die Altstadt und sind irgendwann an der Brücke zur Île de Nantes ), an deren Ende ich die Maschinenhalle der Performance-Gruppe „La Machine“ vermute. Es ist aber schon etwas spät und die Halle sieht aus der Ferne eher geschlossen aus. Morgen werden wir lernen, dass dieses Gebäude nicht die Maschinenhalle, sondern der Justizpalast ist. Dazu paßt allerdings das Denkmal vor der Brücke. Die Infotafel trägt die Überschrift „Nantes, ville de l'abolition?“, also „Stadt der Abschaffung“ (der Sklaverei), was ja schon mal eine interessante Perspektive ist.
Und da stehen wir nun vor einer Gedenktafel im Boden, deren kontrastarmer Text nur schwer lesbar ist, ganz zu schweigen von den Plaketten mit den Namen der Schiffe, die man ohne weiteres für bloße Dekoration halten könnte. Marianne meint: „Ein bisschen mickrig für eine Stadt wie Nantes.“ Ich stimme ihr zu. Etwas voreilig, wie wir morgen sehen werden.
Morgenrunde
Ich fahre mit dem Rad auf dem Weg in die Stadt, den gestern der Bus genommen hat. Dabei teilen sich Fahrräder und Busse (und irgendwie auch Autos) zunächst eine Spur am rechten Rand der Straße, aber ab der ◎ grünen Brücke über die Erdre haben wir eine eigene Spur (meist in der Straßenmitte), die sich die gesamte Altstadt entlang zieht.
Ich mache ein paar Fotos von der ungewöhnlichen ◎ Einkaufspassage , die Louis Pommeraye nach Pariser Vorbildern 1840 bis 1843 bauen ließ. Die Bilder vom ◎ Brunnen auf dem Place Royal gelingen wegen des ungünstigen Lichts am frühen Morgen weniger gut. Die Skulpturen auf dem Brunnen spiegeln die Bedeutung der Lage Nantes am Fluss wieder: Auf dem mittleren Beckenrand thront die durch eine bronzene Frauenfigur symbolisierte Loire, links und rechts ergießen sich aus zwei Amphoren Schwälle von Wasser. Auf kleinen Podesten darunter lagern die Nebenflüsse Erdre, Sèvre sowie (auf der Rückseite) Cher und Loiret, dargestellt ebenfalls durch Bronzeplastiken und auch hier fließen die Wasser aus diversen Amphoren. Darüber symbolisieren acht Putten – auf Muschelhörnern blasend und Delfine reitend – Handel und Industrie der Stadt. Im Zentrum der oberen Brunnenschale erhebt sich hoheitsvoll die Stadtgöttin, eine allegorische Darstellung von Nantes aus Marmor mit einer Mauerkrone.
Erste Radtour
Am Nachmittag wollen wir zusammen mit dem Rad in die Stadt. Marianne ist der doch herausfordernde Streckenverlauf zwischen Bussen und Autos noch nicht ganz geheuer und so hat sie sich eine Strecke erst am ◎ Bach Le Cens und dann die Erdre entlang ausgesucht. Und das ist wirklich eine superschöne Tour über Brücken und hölzerne Stege durch morastige Uferzonen, manchmal etwas holprig wegen der Baumwurzeln und am späten Nachmittag auch stark frequentiert von Joggern.
Nantes ist geprägt von 100 Parks, Gärten und Grünanlagen. Damit soll jeder Einwohner in weniger als 300 m Entfernung von einem Park oder Garten leben. Dies ist ein zentraler Aspekt der beneidenswerten Lebensqualität „à la nantaise“, die weithin gerühmt und oft als „best practice“ zitiert wird.
Unser erstes Ziel ist deshalb auch der ◎ Jardin des Plantes neben dem Bahnhof. Ludwig XIV legte den botanischen Garten im 17. Jahrhundert an. Ludwig XV. machte ihn dann zum Ort für eingeführte Pflanzen und verfügte, dass alle Schiffskapitäne Pflanzen und Samen von ihren Überseefahrten nach Nantes bringen sollten. Seit 1865 ist die Anlage für die Öffentlichkeit zugänglich und immer noch ein Ort botanischer Forschung.
Und wie findet Mariannes grüner Daumen den Garten? Nett, nicht so überwältigend wie nach den Beschreibungen im Netz erwartet mit einigen Brachflächen und weniger dekorativen Elementen. Vielleicht ist Mitte August auch schon die beste Zeit gewesen für eine üppige florale Gestaltung. Und die französischen Beschreibungen der Pflanzen sind für uns auch eher eine Herausforderung. Aber als Stadtpark mit den Spiel- und Picknickflächen ist das Areal schon Klasse. Ebenso erstklassig für Kinder sind die Wasserspiele vor dem Schloß, die wir auf dem Weg vom Café am Rande des Gartens zum Elefanten sehen.
Tja, und dann stellen wir fest, dass der Justizpalast keine Maschinenhalle ist. Die ist nämlich ein Stück weiter östlich auf der Île de Nantes , der Insel in der Loire. Auf dem Weg dorthin überfahren wir das schon erwähnte ◎ Mémorial de l'Abolition de l'Esclavage und kommen …
… erst zum eigentlichen Mahnmal. Erste Versuche, dieses Museum zu errichten, scheiterten in den 1980ern an den Protesten einiger Bürger. 2012 wurde dann diese Stätte mit seiner außergewöhnlichen Architektur an der Uferpromenade der Loire eröffnet, die der Aufarbeitung sowohl der fürchterlichen Geschichte als auch der Konsequenzen dieses dunklen Kapitels dienen soll. Reeder aus Nantes organisierten fast die Hälfte aller französischen Sklaventransporte zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert. Auf ihren Schiffen entführten sie Millionen Menschen aus Westafrika in die neuen Kolonien und profitierten von ihren Importen: Zucker, Vanille und Kakao. Die Stadt verdiente ein Vermögen und begründete mit dem Sklavenhandel ihren Ruf als Zuckerwaren- und Pralinenhochburg.
Im Spiegel findest du einen ausführlichen Artikel und eine Bilderstrecke dazu und beim Deutschlandfunk gibt es einen Podcast darüber.
Ja, und dann stehen wir hier am „Quai de la Fosse“, wo früher die Sklavenschiffe anlegten, bevor sie nach Afrika aufbrachen. Eine schräge Wand aus mattem Glas schneidet durch die Uferpromenade und 1710 im Pflaster eingelassene Stolpersteine erinnern an die Namen der Sklavenschiffe. Wir steigen hinunter in einen dämmerigen, vom Flusswasser umspülten Gang, wo uns ein Holzsteg an der Schräge vorbeiführt, auf der neben dem Wort Freiheit in 40 Sprachen auch Gedichte, Dokumente und Fragmente (in französisch und englisch) eindrucksvoll Zeugnis geben vom mehr als 200jährigen Kampf gegen Sklaverei und Unterdrückung. Ein junges Paar sitzt offensichtlich erschüttert abseits auf einem Mauervorsprung.
Unser nächstes Ziel sind – und größer könnte der Kontrast kaum sein – die ◎ Machines de l’île , die Maschinen der Insel, ein Ausstellungsprojekt der Performance-Gruppe „La Machine“ mit riesigen mechanischen Objekten in einer ehemaligen Lagerhalle. Mit zwölf Metern Höhe ist Le Grand Éléphant das größte davon. In der Sänfte der 40 Tonnen schweren, beweglichen Skulptur finden bis zu 52 Personen einen Stehplatz. Der große Elefant wandert in drei Etappen (jedes Mal mit anderen Gästen) einige hundert Meter durchs Gelände.
Wandern ist gut. Eigentlich fährt der Dickhäuter, angetrieben von einer erst 2018 auf Elektro umgerüsteten Antriebsmaschine. Die Bewegungen der Beine sind allerdings so perfekt, dass man meinen könnte, die Maschine ziehe nur seine Hydraulik hinter sich her. Einfach faszinierend – erst recht für jemanden, der als Kind schon ganz aus dem Häuschen war, wenn sich nur die Windmühlenflügel auf der Modelleisenbahn drehten.
Und dann der sehr bewegliche Rüssel, aus dem ein regulierbarer Wasserstrahl spritzt, und die Kiddies, die sich so hinstellen, dass sie garantiert nass werden und jedes Mal aufschreien, wenn es passiert. Ein Riesenspektakel, klar, aber schwer emotional positiv aufgeladen. Man freut sich einfach mit den Leuten hier auf dem Platz. Und manchmal ist es auch Schadenfreude, wenn sich etwa der Rüssel unvermittelt nach hinten wendet und die Mitfahrer auf der Sänfte nass macht. Einmal sprüht der Dickhäuter auch in meine Richtung und ich springe hinter eine Tafel, um meine Kamera zu schützen. Umsonst, denn der feine Sprühnebel findet seinen Weg von oben hinter meinen Schutzschild.
Der braune Riese kann auch das Maul aufreißen und so laut brüllen, dass man ihn auf der anderen Seite der Loire noch gut hören kann (sehr werbewirksam). Ach ja, und pillern tut er unterwegs auch. Da mag der ebenfalls von dieser Truppe gebaute, zehn Meter hohe Drache von Calais noch so vielfältig in seinen Ausdrucksmöglichkeiten sein – der Spaßfaktor ist hier eindeutig höher.
Radtour Zwei
Wir bleiben einen Tag länger als geplant und radeln noch einmal in die Stadt. Mittlerweile haben wir uns ein wenig an die sehr gute Infrastruktur für „Velos“ hier in der Innenstadt gewöhnt und das macht die Fahrt etwas entspannter. Ich spiele mit dem Gedanken, mir die Maillé-Brézé (Webseite ), das ◎ Museumsschiff am Quai de la Fosse anzusehen. Besichtigungen sind aber nur im Rahmen geführter Touren in französischer Sprache möglich, von denen die erste (erst) um halb drei beginnt. Für Fremdsprachler gibt es nur eine englische Broschüre mit den wichtigsten Informationen – alles kein Vergleich mit dem Audioguide im U-Boot von Cherbour. Vielleicht ein andermal.
Wir fahren nochmal auf die Île de Nantes, lassen aber das Revier des Elefanten schnell hinter uns und dringen tiefer ein ins Gelände der ehemaligen Werft, das mit verschiedenen Freizeit-, Gastronomie- und künstlerischen Angeboten inzwischen zum gut besuchten, öffentlichen Park geworden ist.
Marianne begutachtet natürlich den Gemüsegarten des Restaurants La Cantine du Voyage , ein Urban-Garden-Projekt am ehemaligen Bananenhangar, wo wir auch eine kurze Rast einlegen. Der seit 2016 existierende Garten wurde dieses Jahr neu gestaltet und ist nun im Rahmen von Führungen für die Öffentlichkeit geöffnet. Es werden Bildungsworkshops rund um das Thema urbane Landwirtschaft und Gemüseanbau angeboten und auch die Verkostung einiger Pflanzen ist möglich, um die „Geschmacksvielfalt zu fördern“.
Interessant finde ich auch die Installation „Les Anneaux“ (= die Ringe) des Künstlers Daniel Buren . Solche Rahmen in die Landschaft sieht man ja inzwischen öfter und irgendwie ist das wie ein Blick durch eine Kamera – die Perspektive wird eingegrenzt auf einen kleinen Ausschnitt – in diesem Fall das Zusammenspiel zwischen Architektur (dem Kai) und der Natur (dem Fluß). Das soll besonders deutlich gegen Abend werden, wenn die Ringe in den Farben rot, green und blau leuchten – in den Grundfarben, die letztendlich „die Basis sind für undendlich viele andere Farben“. Dieses Lichtspiel hätten wir gerne gesehen.
Dass der nächste Programmpunkt – das Chateau de Ducs (Schloß der Herzöge) – der letzte für heute sein wird, war so nicht geplant, aber ich habe schon länger mit dem Gedanken gespielt, mal meine Bremsen und die Gangschaltung prüfen zu lassen. Und jetzt gerade unmittelbar neben dem Schloß finde ich zufällig den richtigen Laden dafür. Und der junge Mann, der mich bedient (eigentlich machen die nur mit Termin), gibt sich echt Mühe mit meinem Englisch und – wie ich später erfahre – auch mit dem Rad. Er will in einer Stunde alles fertig haben. Ich schlage vor, dass zwei Stunden auch okay sind (kein Stress), und so haben wir unvermittelt etwas Zeit zu verbummeln, womit wir auch gleich im Cafe gegenüber dem Schloßeingang beginnen. Crepes mit Apfelkompott sind auch mal eine leckere Alternative.
Vor dem Schloßeingang steht eine Skulptur von Anne , der letzten eigenständigen Herrscherin über die Bretagne. So ungewöhnlich wie sie selbst war auch ihr Lebenslauf. Als sie mit knapp 37 Jahren starb, war Anne insgesamt dreimal Herzogin und zweimal Königin von insgesamt sechs Ländern. Bei Wikipedia liest sich der Lebenslauf der Frau eher trocken, aber schon allein der Vollzug ihrer Ferntrauung mit dem deutschen Kaiser Maximilian I., so wie sie Reiseleiter Dr. Michael Krause erzählt , ist filmreif.
In der Bretagne finden man an vielen Stellen Skulpturen der Herrscherin und das mag an dem Selbstbewußtsein der Bretonen und ihren Verhältnis zum restlichen Frankreich liegen, das ich mal mit dem der Bayern in Deutschland vergleichen würde. Und wenn wir schon beim Vergleichen sind: Unserer Seherfahrung nach unterscheidet man in Deutschland ja eher zwischen Burg und Schloß. Das Chateau hier in Nantes ist wie viele andere in Frankreich eine Kombination aus Schloß und Festung – solide Mauern und prächtig dekorierte Wohngebäude.
Auf zum Teppich nach Anger
Damit ist unser Besuch in Nantes zu Ende. Wir werden morgen weiterfahren nach Angers. Dort will ich mir noch ein Chateau anschauen – diesmal aber eins mit einem einzigartigen Exponat.