Heute will ich in die größte Stadt Ostfrieslands radeln. Emden liegt auf der anderen Seite der Ems. Ich muss also erst mal mit der Fähre von Ditzum nach Petkum übersetzen. Um 9 Uhr soll es losgehen. Moment mal, war gestern nicht um 21 Uhr Ebbe? Um die Zeit habe ich jedenfalls die Fähre im Schlick eingesunken gesehen. Wenn 9 Uhr abends Ebbe ist, dann ist ungefähr 9 Uhr morgens auch wieder Ebbe. Ich schlage im Internet nach: de.wisuki.com hat auf der Seite Gezeiten für Dollart die Ebbe mit 9.00 Uhr angekündigt. Na toll.
Um 8.30 Uhr überlege ich mir trotzdem mal zum Hafen zu fahren. Wäre doch eine schöne Geschichte: An der Nordsee Pläne schmieden und dann an der Küste feststellen: "Upps, gar kein Wasser da." Der Klassiker. Ich packe überstürzt zusammen, breche auf ...
... und finde die Fähre schwimmend im flachen Wasser. Die Reaktion des Fährmanns an Bord auf meine verwunderte Frage: "Wieso, wir haben doch schon seit 15 (!) Minuten auflaufendes Wasser." Später am Abend werde ich im Tidenkalender von de.windfinder.com diese Information finden: Ebbe in der Marina Ditzum 8.35 Uhr. Okay, Dollart ist nicht gleich Ditzum, aber unterschiedliche Tiden? Kann das sein? Mentale Notiz: Klärungsbedarf (Priorität 3).
Panne 1: Ein oder aus?
Ab jetzt geht (fotografisch) eigentlich alles schief was schiefgehen kann. Ich habe meine am Lenker montierte Action-Cam vor der Fahrt auf die Fähre eingeschaltet. Dachte ich. Vielleicht habe ich den Knopf auch versehentlich zweimal gedrückt oder mir ist das Ausschalten nach dem Ausrichten am Lenker nicht gelungen. Ich werde (viel) später feststellen, dass ich sie vor der Auffahrt in Wirklichkeit ausgeschaltet habe. Ab jetzt werde ich sie immer ausschalten wenn ich denke ich schalte sie ein. Und umgekehrt. Damit zeichnet die Kamera die meiste Zeit nur alles Unwichtige auf.
Ja ja, ich weiß, die Kamera gibt ja Tonsignale von sich und außerdem ist da oben die kleine Aufnahme-LED und der Monitor zeigt es ja auch. Nun, die Tonsignale sind mir noch nicht so vertraut, die kleine LED ist kaum erkennbar und der Monitor für das helle Tageslicht zu dunkel.
Auf der Fähre stelle ich fest: SD-Karte voll. Okay, damit habe ich gerechnet, aber nicht so schnell. In der Eile lösche ich einige der älteren Filme und frage mich, ob die alle sauber gesichert sind (ich experimentiere noch mit verschiedenen Verfahren). Wichtige Aufnahmen auf nur einem Speichermedium machen mich schon etwas unruhig.
Panne 2: Papierkorb oder nicht
Beim Anlegen in Petkum entdecke ich an der Seite ein halb im Schlick versunkenes Boot – ein gelungenes Motiv für meine Reihe "Lost Places". Die Fähre fährt langsam daran vorbei und ich brauche nur auf den Auslöser zu drücken, kein Schwenk erforderlich, nur ruhig halten. Halbwegs am Boot vorbei schaltet die Kamera die Filmaufnahme ab: SD-Karte voll.
Das gibt es doch nicht. Habe doch Dateien gelöscht. Später abends bei der Sicherung werde ich die gelöschten Dateien im Ordner Trash der Karte wiederfinden. So lässt sich natürlich kein Speicherplatz freigeben. Die Logik dahinter (wann landet eine gelöschte Datei im Papierkorb und wann nicht?) habe ich noch nicht verstanden. Mentale Notiz: In Emden SD-Karten besorgen (Priorität 1).
Karte der Radtour Ditzum-Emden
Wolkenbruch an der Tanke
Los geht‘s. Ich fahre nicht am Deich entlang sondern nehme die Leeraner Straße (L2) – keine schöne Strecke, aber ich will mir ja auch Emden ansehen. Je näher ich dorthin komme, desto mehr Feuchtigkeit fällt von oben herab. Eigentlich war heute nur bewölkt vorhergesagt aber kein Regen. Misstrauisch achte ich während der Fahrt mal wieder auf Unterstellmöglichkeiten. Der Regen wird stärker. Jetzt reicht‘s. Eine Tankstelle nahe einer Wasserstraße lockt mit einem großen Dach ohne jegliches Service-Angebot darunter. Prima. Da muss man sich an keiner Zapfsäule herumdrücken und hat genügend Platz zum Auf- und Abgehen. Dazu bekomme ich auch reichlich Gelegenheit, denn es tun sich gerade alle Pforten des Himmels auf. 50 Meter weiter stehen Leute unter einem Baum. Puhh, Glück gehabt. Wieder mal die Luxus-Ausstattung bekommen.
20 Minuten später scheint die Sonne. Mein Blick fällt auf ein Schild an der Straße, das den Weg zu einen Wohnmobil-Stellplatz weist (hätte ich ohne den Regen nicht wahrgenommen). Ich luke um die Ecke und sehe den Platz 150 Meter entfernt direkt an besagter Wasserstraße. Cooler Spot. Ich fahre hin und stelle fest, dass da noch einige Plätze frei sind. Die erste Reihe am Ufer ist natürlich voll. Kosten pro Nacht: 12 Euro.
Es fängt wieder an zu regnen und ich lande wieder bei der Tankstelle. Ein zweiter Radfahrer gesellt sich zu mir und wir kommen ins Gespräch. Er wohnt in Emden und klärt mich auf: Meine „Wasserstraße“ ist der Delft und in Emden gäbe es viele Kanäle, wo man Bootstouren machen kann, und dass Emden deshalb das Venedig des Nordens genannt wird. Und überhaupt sei Emden eine schöne Stadt und heute wäre außerdem noch Hafenfest „Delft?“, frage ich ihn, „Was ist denn Delft?“ Er macht eine vage alles umfassende Armbewegung in Richtung Wasser: „Ja hier herum und da herum, alles Delft.“ Ich nicke verständnisvoll, habe es aber nicht wirklich kapiert. Der NDR wird mich später lehren:
Der Begriff Delft weist darauf hin, dass dort [also in Emden] einst ein Flüsschen zu einem Hafenbecken erweitert wurde, in dem Dutzende Schiffe lagen. Heute endet der Ratsdelft an einer breiten Treppe vor dem Rathaus.
Was in Emden aber nun genau zum Delft gehört und was einfach nur Binnen-Hafen ist, dass habe ich noch nicht herausgefunden.
Einmalig in Deutschland: Das rollende Dorfmuseum
Ich bin jetzt am Rathaus. Hafenfest in Emden ist wie Kirmes bei uns in Westfalen – nur mit mehr Finger- und Fastfood-Angeboten und weniger Fahrgeschäften. Plus Shanty-Chor. Okay, heute abend wird auf den drei Bühnen wohl mehr abgehen als nur seichte Schunkelwellen.
Ein wohl einmaliges Angebot auf dem Festgelände ist allerdings das rollende Museum der Münkeboer Dorf-Arbeitsgemeinschaft. Wir sind schon Ostern auf einer unserer Radtouren von Aurich aus zufällig auf das dazugehörige Dorpmuseum in Mönkeboe gestoßen. Sehr sehenswert. Wir konnten damals leider nur noch im Cafe platznehmen, weil das Ausstellungsgelände schon geschlossen hatte.
Und die Mönkeboer haben sich wohl gedacht: „Wenn die Leute nicht zum Museum kommen, dann kommt das Museum eben zu den Leuten!“ Und dann haben sie auf je einen LKW-Anhänger eine Schmiede, eine Bäckerei, Räder-, Stuhl- und Holzschuh-Werkstätten sowie eine Ausstellung mit Haushaltsgegenständen gepackt und sind nach Emden gefahren. Schmiede und Bäckerei samt Mahlwerk sind voll funktionsfähig. Der Bäcker backt Rosinenbrötchen und man darf kostenlos zugreifen. Superlecker. Der Holzschuh für die freiwillige Spende zugunsten des Museums liegt zweckmäßigerweise gleich neben dem Brötchenkorb.
An bestimmten Wochenenden sind die Handwerker auch im Dorp-Museum zu sehen. Schaut einfach mal auf der Webseite nach. Wir werden unseren nächsten Besuch auch entsprechend timen.
Rund um den Binnenhafen
Ein Schiff wird kommen … und da kann man ruhig mal drauf warten, um das Hubbrückentrio in Aktion zu beobachten
Nett, mehr läßt sich über die Emdener Einkaufszone heute nicht sagen, weil sie für das Hafenfest schon etwas herausgeputzt wurde. Aber der Binnenhafen (und/oder Delft) ist schon reizvoll. Man kann eine kleine Runde drumherum gehen und blickt dabei auf drei Museumsschiffe, jede Menge Sportboote, ein eindrucksvolles Brücken-Trio und die Strandbar. Ach ja, dat Otto Huus und Rathaus nebst Ostfriesland-Museum liegen auch direkt am Delft.
Dat Otto Huus ist Museum und, na klar, zugleich Shop für Fan-Artikel (neudeutsch: Merchandise). Wir sind sozusagen mit dem Komiker Otto Waalkes aufgewachsen und mögen ihn. Damals war seine Art von Klamauk erfrischend neu und wir haben uns schlappgelacht. Heute ist sowas eine fast allgegenwärtige Unterhaltungsform und nicht mehr sooo komisch.
Bei meinem Spaziergang rund um den Binnenhafen komme ich an eine Fußgängerbrücke übers Wasser. Gleich daneben liegt eine separate Eisenbahnbrücke. Daneben dann noch eine Straßenbrücke. Alles drei Hubbrücken. Und wie bestellt kommt ein Schiff herein und alle Brücken fahren hoch. Das habe ich so auch noch nicht gesehen.
Panne 3: Akku leer
Zurück am Rathaus entscheide ich mich, die Runde mit dem Fahrrad noch einmal abzufahren und dabei zu filmen. Ich schalte die Action-Cam beim Seenotrettungskreuzer ein (haha) und fahre los. Ich halte auf das Brückentrio zu und da rumpelt – wieder wie bestellt – ein Zug langsam über die Brücke. „Super Aufnahme“, denke ich (haha) und fahre weiter. Am Ende der Runde merke ich, dass etwas nicht stimmt und nehme die Cam unter die Lupe. „Super“, denke ich, „du Depp!“
Okay, fahre ich die Runde eben nochmal. Schade um den Rumpelzug. Nach etwa einem Viertel der Strecke schaltet die Cam hörbar ab. Ich ahne es: Akku leer. Stimmt. Mir reicht‘s, genug Lehrgeld bezahlt.
Volle Fähre im Regenschauer
Ich fahre zurück nach Petkum. Es ist viertel nach 3, vielleicht schaffe ich noch die Fähre um halb vier und trete kräftig in die Pedalen. An der Landungsstelle sehe ich sie auch noch um die Ecke verschwinden. Jetzt heißt es: eine Stunde warten.
Ein Wohnmobilfahrer aus SB steht auch da. Keine Chance, die Fähre nimmt keine Wohnemobile mit. Der Saarbrücker weiß das auch schon, denn der Fährmann hatte abgewunken. Jetzt klagt er mir sein Leid darüber, dass er nicht nach Emden reingekommen ist, was mich wundert, denn ich habe keine Sperren gesehen. Nun wolle er nach Ditzum und jetzt winke ich ab. Zwecklos, alles belegt. Nachmittags um 4 nach einem anstrengenden Tag noch keinen Stellplatz ist zwar kein Weltuntergang, aber ich möchte trotzdem nicht in seiner Haut stecken.
Nach und nach erreichen Radfahrer noch in voller Regenmontur die Anlegestelle und erzählen sich gegenseitig, wo und wie naß sie geworden sind. Auch ich hatte in Emden noch mehrmals die Gelegenheit, mir bei den teilweise heftigen aber kurzen Regenschauern in aller Ruhe die Umgebung eines Unterstands anzusehen.
Kurz vor vier Uhr gibt es einen weiteren derben Schauer. Im kleinen Wartehäuschen wird es eng. Die nur mit einem ebenso knappen Abdach ausgestattete Fähre in Ditzum wird sich gerade füllen und als sie viertel nach vier brechend voll Radfahrer ankommt, kann ich mir gut vorstellen, wie ungemütlich die Überfahrt war. Da habe ich nur mit einer Fließjacke bekleidet ja wieder mal Glück gehabt. Mentale Notiz: leichtes Regenzeug besorgen (Priorität 2) und mitnehmen.
Lohnt sich ein Besuch in Emden ? Auf jeden Fall. Ich komme wieder und bringe etwas mehr Zeit und Ruhe mit.