Montag, 1. August – Wir fahren von Amsterdam über den Abschlussdeich nach Harlingen. In Kornwerderzand kurz hinter dem Deich machen wir Zwischenstation und beobachten den Schleusenbetrieb. Das ist sehenswert schon allein wegen der vielen Plattbodenschiffe , die auf dem Weg von der Nordsee ins Ijsselmeer die großräumige Schleuse passieren.
Irgendwie haben wir uns die Fahrt über den 32 Kilometer langen Deich (der tatsächlich ein Damm ist) interessanter vorgestellt. Wir dachten, man führe (wie auf dem Hindenburg-Damm nach Sylt) so, dass rechts das IJsselmeer und links die Nordsee zu sehen ist – praktisch wie auf einer Straße durch das Wasser. Stattdessen fährt man unterhalb des Deichkamms und fast nur durch eine einzige große Baustelle, weil an vielen Stellen gearbeitet wird um den Deich für die kommenden Fluten des Klimawandels vorzubereiten. Auch der Aussichtsturm ist gesperrt, von dessen Plattform man beide Gewässer hätte überblicken können.
Der Abschlussdeich riegelt die ehemalige Zuiderzee (Südersee) gegenüber der Nordsee ab. Dadurch entstand über die Jahre ein großer Süßwassersee, der im Niederländischen als „Meer“ bezeichnet wird (deshalb jetzt: IJsselmeer). Mit dem Bau des Abschlussdeichs konnte die niederländische Deichlinie um mehr als 200 km verkürzt werden, was umfangreiche Bau- und Unterhaltungsmaßnahmen an den Deichen der ehemaligen Zuiderzee vermeidet. Das Bauwerk schützt somit das Kernland mit der Hauptstadt Amsterdam vor den Fluten der Nordsee. Die Sieltore der zwei großen Tidesperrwerke am Anfang und Ende des Deichs werden bei jeder Ebbe geöffnet und leiten das zugeflossene Süßwasser in die Nordsee ab.
Die Schleusenanlage von Kornwerderzand
Am Ende des Deichs stehen wir dann im Stau, weil die Brücken vor uns für Wasserfahrzeuge geöffnet wurden. Bei der heute vorherrschenden Hitze ist das ein wenig nervig, aber wir ahnen ja nicht, dass wir uns über eine der nächsten Öffnungen freuen werden. Ich parke am Afsluitdijk Wadden Center , einer interaktiven Erlebnisausstellung mit den Hauptthemen „Leben der Niederländer im Delta“ sowie die „Zukunft des Klimawandels und des Meeresspiegelanstiegs“.
Vor etwa 25 Jahren standen wir mit den Kindern schon einmal hier an der Schleuse in Kornwerderzand . Damals campierten wir mit unserem zweiten Wohnmobil etwa 9 Kilometer von hier auf einem Platz bei Makkum. Mal schauen ob wir noch was wiedererkennen. Wir überlegen einen „kleinen“ Spaziergang zur Schleuse und den Kasematten zu machen und marschieren los.
Kasematten
Wie seinerzeit wollen wir uns heute die 1931 mit dem Damm gebauten Kasematten ansehen. Die gepanzerten Geschützstellungen sollten ursprünglich den Abschlussdeich schützen und dort haben dann auch im 2. Weltkrieg relativ wenige Soldaten den deutschen Blitzkrieg zum Stillstand gebracht. Darauf sind die Niederländer natürlich stolz. Das dazugehörige Museum hat montags leider zu. Aber vielleicht ergibt sich ja noch das ein oder andere Fotomotiv am Rande eines dieser Betonklötze.
Ein schmaler Weg führt zum einzigen Klotz außerhalb des Museumsgeländes, der von allen Seiten betrachtet werden kann. Ich muss mich dafür allerdings durch Brombeer- und Brennesselgestrüpp kämpfen, während Marianne sich derweil die reifen Früchte schmecken lässt. Und besonders sehenswert ist diese Kasematte VIII auch nicht, weil alle Eingänge zugemauert sind.
Wir wollen deshalb mal auf der anderen Seite des Schleusenbeckens am Museumsgelände entlang gehen und schauen, ob wir da etwas mehr über die Kasematten erfahren. Die dafür erforderliche Unterquerung einer der Drehbrücken zur Nordsee ist schon ein kleines Erlebnis – die Informationslage auf der anderen Seite leider nicht. Wir finden lediglich eine Tafel zum Atlantikwall , jenen 2700 Kilometer langen Gürtel an Bollwerken, den die deutschen Besatzer in den 40er-Jahren errichteten und zu dem die Kasematten hier gehören.
Also: Besuch der Kasematten in Kornwerderzand ohne Museum macht keinen Sinn. In einem kurzen, schon älteren Youtube-Clip sind Luftaufnahmen der Kasematten und der Schleusenanlage zu sehen.
Schleusenbetrieb
Wie die Heringe in der Dose – vorne das Schleusenbecken für die Freizeitskipper und dahinter das für die Berufskapitäne
Bei der Suche nach der Vergangenheit haben wir nebenbei den Schleusenbetrieb mitbekommen. Es dauert eine Weile bis die Schleuse mit den Segel- und Motoryachten sowie Plattboden-Seglern gefüllt ist. Deshalb gibt es auf beiden Seiten Wartebereiche, und es ist zum Einen interessant zu beobachten, wie die Skipper in der leichten Strömung diese Wartezeit überbrücken. Leinen die ihre schwimmenden Wohnmobile an den Pollern an, fahren sie hin und her oder stehen sie einfach „stocksteif“ (wahrscheinlich computergesteuert) auf der Stelle wie die eine futuristisch anmutende Motorjacht?
Und zum Anderen stelle ich mir immer wieder vor, selbst einer dieser Skipper zu sein. Wie wäre das jetzt dort am Steuer zu sitzen und durch die Schleuse zu manövrieren. Was würde ich sehen? Ich hätte schon Lust das mal auszuprobieren. Grundsätzlich ist mir dann aber doch ein Fahrzeug lieber, weil damit kommt man „überall“ hin.
Ein Klingeln holt mich aus meinen Träumen. Die Schranken oben auf der Autobahn schließen sich und die beiden Brücken (für je eine Fahrtrichtung der A7) beginnen sich zu drehen. Über eine Spur fahren Schiffe aus dem Binnenhafen (aus der Nordsee) in das Wartebecken hinein und über eine zweite andere hinaus. Wir beobachten den Vorgang neugierig. Ist fast wie eine Modenschau – nur das es Yachten sind.
Wir haben Hunger und überlegen, noch im Wadden Center neben dem Parkplatz vorbei zu schauen. Terrasse und Café dort sind fein und stilvoll eingerichtet, die Auswahl der Speisen passt dazu. Das ist uns für einen kleinen Imbiss zu teuer und so setzen wir uns ins Cockpit unseres Pössl, löffeln Müsli und beobachten die Bewegungen dreier Plattbodenschiffe , die gerade aus dem Schleusenbereich herauskommen, nicht hinaus ins Ijsselmeer fahren, sondern in unsere Richtung kommen und dann stehenbleiben. Wir erwarten Manöver zum Segelsetzen, es passiert aber leider nichts. Schade.
Die Stadt
Es ist schon spät und so fahren wir ohne unser Mittags-Nickerchen weiter nach Harlingen . Die Hafenstadt liegt etwa acht Kilometer vom Abschlussdeich entfernt. In der Saison finden sich dort viele Freizeitschiffe (darunter Traditions- und Plattbodenschiffe , unter anderem die sogenannten Skûtsjes ) ein. Wirtschaftlich ist das in der Innenstadt von Grachten durchzogene Harlingen vorwiegend von Landwirtschaft, Schifffahrt, Seefischerei und Tourismus geprägt. Letzteres lässt – wie schon in Urk festgestellt – den Charme des Hafenbereichs etwas verblassen. Restaurants, Cafés, und Straßen voll mit Gästen lassen touristische Hotspots immer ähnlicher werden. Okay, will mich nicht beklagen, bin ja daran beteiligt. Und meine frühmorgendlichen Touren gleichen das schon ein wenig aus.
Frühstück mit Kamel
Apropos Morgentour: Meine erste drohte gleich zum Fiasko (= kein Backwerk) zu werden. Bis 7 Uhr habe ich keinen offenen Laden gefunden. Die Lebensmittelmärkte öffnen in den Niederlanden um 8 Uhr. Etwas außerhalb der Innenstadt erspähe ich in einiger Entfernung eine Tankstelle und denke, dass die ja eh wieder nur Kaffee haben (wie am Oldampdmeer). Ich drehe um und will wieder in die Innenstadt zurück, entscheide mich aber dann doch nach ein paar 100 Metern, es darauf ankommen zu lassen. Und tatsächlich. Die haben nicht nur Kaffee, sondern auch Croissants. Perfekt. Eingelassen hätten die mich sogar schon ab halb sieben.
Das Umfeld der Tankstelle ist allerdings nicht besonders attraktiv, und so fahre ich wieder ein Stück zurück zu einer der Grachten, was mit einem Kaffeebecher ohne Deckel gar nicht so einfach ist. Auf einer Hubbrücke in der Nähe eines prachtvollen Holzseglers komme ich dann zum Essen. Ganz in der Nähe grast ein Trampeltier (ein Kamel mit zwei Höckern). Klar, wenn man sich schon mal in Harlingen an einer Gracht zum Frühstück niederlässt, dann gehört so ein Tier einfach dazu.
Der Campingplatz
Der Stellplatz in Harlingen (Platz für 10 Mobile) war leider voll. Wir sind deshalb weiter zum Zeehoeve Campingplatz gefahren, der 5-10 Radminuten vom Hafen entfernt ist. Dort haben wir uns auf einer fast leeren Wiese einen Platz gesucht. Der Campingplatz hat zwar auch parzellierte Wohnmobilplätze, aber Durchreisende werden wohl gleich auf diese Wiese geführt. Hier sind auch viele PKWs mit teilweise großen Zelten. Man nimmt sich den Platz den man braucht. Die Stromanschlüsse sind allerdings nicht von allen Stellen gleich gut erreichbar. Okay, für Selbstversorger wie wir ist das kein Problem.
Die sanitären Anlagen sind zweckmäßig und sauber. Genauso die Entsorgungsstelle für Chemietoiletten. Einzig die Ent- und Versorgung mit Wasser ist gewöhnungsbedürftig. Man fährt in eine Sackgasse mit Gebüsch auf drei Seiten. Links und rechts ist nicht allzu viel Platz und wenn man vorwärts einfährt, um das Loch im Boden gut zu treffen, dann steht man rechts sehr nahe am Gebüsch, was die Wasserversorgung über den am Rand befindlichen Kran erschwert. Hinzu kommt, dass die Gasse nur etwa 8-10 Meter lang ist. Allein geht das, aber wenn zu Stoßzeiten (also jeden Tag gegen Mittag) gleich mehrere Mobile entsorgen möchten, dann bildet sich ein Rückstau auf der Durchgangsstraße bzw. in einen angrenzenden Stellplatzbereich hinein. Die Leute dort werden sich bedanken ...
Wir haben pro Übernachtung 29,90 € bezahlt.
Der kurze Spaziergang
Wir waren gestern nach unserer Ankunft auf dem Campingplatz gegen 19 Uhr noch mit dem Fahrrad im Hafen um uns ein Fischbrötchen zu gönnen. Keine Chance. Die hatten schon die Bürgersteige hochgeklappt. Heute wollen wir nach der Morgenroutine einen kurzen Spaziergang machen und es dann in der Stadt erneut versuchen.
Runter vom Campingplatz und rauf auf den Deich. Von dort oben kann man dann sofort sehen, ob Nordsee da ist oder nicht. Meer ist da. Wir gehen herunter an den Strand und kommen an einen Steg der ins Wasser führt. Denken wir. Ist aber kein Steg, sondern eine etwa 100 Meter lange Kette verbundener Schwimmkörper, die jeweils etwa 30x30 Zentimeter groß sind. Die Verbindungen haben soviel Spielraum, so dass der „Steg“ den Wellengang mitmacht. Das ist ziemlich intensiv am Ende. Cool. Besonders die Stelle, wo der Wellengang vier Verbindungen soweit zerstört hat, dass das hintere Ende des Stegs nur noch an einer Verbindung hängt.
Der Zuiderpier links führt zur Hafenausfahrt
Wir gehen nicht direkt in die Stadt sondern biegen hinter dem Strand links in den Zuiderpier ein. Der geht bis zur Hafenausfahrt und da lassen sich mal wieder gut Schiffe beobachten. Vorher kommt man am gestrandeten Wal vorbei. Kein echter, sondern eine Skulptur des Ehepaars Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla , die mit Mitteln der zeitgenössischen Kunst die schonungslose und gewalttätige Ausbeutung von Mensch und Natur durch das globale wirtschaftspolitische System anprangern. Ein toter Wal? Na ja, kann man auch anders sehen.
An Ende des Piers hat es uns besonders ein Plattbodenschiff angetan, dass aus der Nordsee heraus unter vollen Segeln die Einfahrt ansteuert. Wir warten darauf, dass die Mannschaft die Segel streicht und mit dem Motor weiter fährt – im Hafenbecken kann man schließlich nicht so gut segeln. Tut sie aber erst im letzten Moment als das Schiff schon die Einfahrt passiert hat.
Okay, ich kann zwar nicht segeln, aber das sieht nach Kunstfertigkeit aus.
Wir gehen langsam den Zuiderpier zurück und biegen nach dem Feuerschiff Jenni Baynton , das eine bewegte Geschichte hinter sich hat, links in Richtung Hafen ab. Der Deich, über den wir am Strand entlang bis hier hin zum Pier gekommen sind, findet seine Fortsetzung in Form einer begehbaren, erst 2010 fertiggestellten Schutzmauer (Keermuur), neben der etwas tiefer die Bahngleise liegen. Der leicht erhöhte Rundblick auf dem Weg in den Hafen von Harlingen ist schon reizvoll.
Wir laufen vorbei am weißen, ehemaligen Leuchtturm , der jetzt als Hotel-Suite dient. Vorbei an der Witte Swaen , einem von Freiwilligen aufwendig nach alten Plänen und mit altertümlichen Werkzeugen hergestellten Nachbau eines der Expeditionsschiffe des niederländischen Entdeckers Willem Barent, der damit im 17. Jahrhundert den nördlichen Seeweg nach China suchte. Und vorbei am CatchFish, einem Kunstwerk der Gruppe CAKtwo , die damit darauf aufmerksam machen wollen, wo unser Müll am Ende in der Natur landet. Bis hin zur Sasbrug am Ende der Mauer, das begehbare Hafeneingangstor für kleinere Schiffe, wo es immer wieder vorkommt, dass ahnungslose Touristen von den Warnsignalen zur bevorstehenden Toröffnung überrascht werden, und in der Schrecksekunde nicht wissen, ob sie vor oder zurück gehen sollen.
Wir gehen einmal um den Zuiderhaven herum und bestaunen wieder mal die dort zwischen den Sportbooten liegenden Traditionsschiffe. Dann geht es über den Grote Bredeplats in die Voorstraat hinein, die Fußgängerzone von Harlingen. Marianne und ich sind jetzt nicht die typischen Reise-Shopper und so nehmen wir die Angebote nur im Vorübergehen wahr. Scheint aber eine gelungene Mischung aus Gastronomie und originellen Shops zu sein.
Der kurze Spaziergang zieht sich jetzt schon über fast vier Stunden hin. Harlingen ist uns noch ein Fischbrötchen schuldig. Im Restaurant Waddenvis entscheiden wir uns dann doch für die Maxi-Variante davon: Kibbelinge mit Pommes und Salat. Lecker. Zum Nachtisch noch ein Softeis und dann starten wir den Gang zurück zum Campingplatz, …
… der an der Havenplein-Hubbrücke relativ schnell wieder zum Stehen kommt. Eine Bank lädt uns ein, den Booten zuzusehen, die im alten Binnenhafen auf die Durchfahrt in den Zuiderhaven warten. Hier ist es noch enger als im Schleusenvorbecken in Kornwerderzand und so müssen sich die Skipper bei ihren Wartemanövern wohl auch mehr konzentrieren. Schließlich geht die Brücke hoch und ein elegantes, weißes Plattbodenschiff gleitet an uns vorbei. Apropos Plattboden: Habe vor kurzem gelernt, das hier Trockenfallen im Watt eine Touristenattraktion ist, also das bewusste Auflaufen der Schiffe mit dem platten Boden und eine anschließende Wanderung durchs Watt.
Eine weitere Pause gibt es am Strand. Wir sitzen auf dem Deich und schauen den Kite-Surfern zu, die mit ihren Luftsprüngen immer wieder verblüffen. Der Wackelsteg liegt jetzt fast gänzlich auf dem Trockenen. Schade.
Wer gerne fotografiert, findet in Harlingen eine Fülle von Fotomotiven. Auf unserer Tagestour haben wir nur einen Bruchteil davon gesehen. Ich glaube, wir waren nicht das letzte Mal hier. Die Stadt hat mit Visit Harlingen eine sehr informative Seite für Touristen. Die vielen Bilder geben einen guten Eindruck vom Ambiente der Hafenstadt.
Meine Wetterfee kündigt heiße Tage an. Wir werden Harlingen deshalb eher als geplant verlassen und versuchen, einen guten Rastplatz etwa in der Mitte unseres Nachhausewegs zu finden. Der Stellplatz am Freibad in Lingen und der Dreiländersee bei Gronau kommen in die engere Wahl. Wir werden uns morgen bei der Fahrt entscheiden.