Das Zentrum von Bad Schandau gewinnt sicher keinen Schönheitspreis, aber das Umfeld ist der Hammer. Wir wandern im Tal der Kirnitzsch an riesigen Feldbrocken vorbei, erklimmen schwierige Passagen im Flößer-Steig, steigen die Himmelsleiter hoch und lassen uns von einer historischen Straßenbahn durch die Gegend schaukeln, die so ruckelt und quietscht, als würde sie jeden Moment aus den Schienen springen. Und … uhh, gruselig, in der hintersten Ecke Deutschlands sind wir auf einen Gasthof gestoßen, wo Menschen gekocht werden.
Prossen
Prossen ist ein Ortsteil vom zwei Kilometer entfernten Bad Schandau . Der Stellplatz hier kostet 8 Euro und bietet keinerlei Service. Dafür hat man (fast) das Gefühl, inmitten unberührter Landschaft zu stehen. Vor uns liegen Pferdewiesen und dahinter fließt träge die Elbe. Eine Abzweig davon führt in den kleinen Hafen von Prossen, wo noch die Ausflugsschiffe für die Ostern beginnende Saison schlafen. Über dem Hafen geht morgens die Sonne auf und mit dem aufsteigenden Nebel entsteht eine wunderbar mystische Stimmung in dieser (fast leeren) Landschaft.
In die andere Richtung blicken wir weit ins Tal hinein bis zum Lilienstein . Dort geht die Sonne direkt zwischen zwei Bergrücken unter, was sie auch gleich an unserem ersten Abend mit einem prachtvollen Farbenspiel tut.
Bad Schandau
Hauptsehenswürdigkeit am Bad Schandauer Marktplatz ist seit 1896 der vor der Kirche platzierte |link|https://de.wikipedia.org/wiki/Sendigbrunnen|Sendig-Brunnen}, der im zweiten Weltkrieg aus bisher ungeklärter Ursache seinen Jugendstil-Aufsatz samt Skulpturen eingebüßt hatte, aber von 1994 bis 2011 aus alten Bildern rekonstruiert wurde. Am Beckenrand sind Plaketten mit den Namen der Wiederaufbau-Sponsoren angebracht. Offenbar war da noch etwas Platz für kluge Sprüche. Einer davon spricht mir aus der Seele:
Ein Frosch, der im Brunnen lebt, beurteilt das Ausmaß des Himmels nach dem Brunnenrand.
Soll ein mongolisches Sprichwort sein. Erinnert mich an die geniale Illustration auf der Titelseite eines Studienbuches von Jörg van Norden.
Zum Kuhstall
Unser Wasser wird knapp, die Toilettenkassette ist nahezu voll und duschen wollen wir auch mal wieder. Ent- und Versorgungsstellen sind allerdings rar in der Umgebung. Als Hallenbad steht nur die Toskana-Therme zur Verfügung: 2 Stunden 20€ – nicht wirklich eine Option. Wir fahren deshalb zum Campingplatz Ostrauer Mühle , wo wir für 2 Übernachtungen 82 Euro zahlen werden. Darin enthalten sind Gästekarten und damit wird für uns der öffentliche Nahverkehr vom Anreise- bis zum Abreisetag kostenlos. Da wir sowieso mindestens einmal mit der Kirnitzschtalbahn hin- und herfahren wollen (Tageskarte 10€), relativiert sich dieser (für uns) happige „Stellplatz“ doch etwas.
Und das nutzen wir doch gleich nach unserer Ankunft. Wir erwischen die Bahn um 12.25 Uhr und fahren Richtung Lichtenhainer Wasserfall . Die Fahrt in diesen 60 Jahre alten Wagons ist für einen alten Modelleisenbahnliebhaber schon etwas aufregend. Es ruckelt und quietscht, als würde die alte Bahn jeden Moment aus den Schienen springen. Ist aber schon sehr lange nicht mehr passiert.
Der ursprünglich natürliche kleine Wasserfall des Lichtenhainer Dorfbachs oberhalb des Kirnitzschtals wurde 1830 zur Steigerung seiner touristischen Attraktivität über einen kurzen Hangkanal etwas erhöht und zum anderen durch ein aufziehbares Stauwehr mit schwallartigem Abfluss erweitert. Einem Lichtenhainer Bürger wurde das verpachtbare Amt des „Wasserfallziehers“ übertragen. Nach Restaurierung der Anlage 1994 ließ dieser das Wasser mit musikalischer Untermalung zunächst langsam kommend und zum Schlussakkord dann sturzbachartig den Felsen hinunterstürzen. 2021 hat ein Starkregen die Attraktion allerdings so stark beschädigt, dass sie bis auf weiteres geschlossen ist.
Auch gastronomisch ist hier oben vor Ostern noch nichts los. Wir beobachten eine Gruppe Touristen, die dies enttäuscht feststellen und mit der gleichen Bahn (hier ist Endstation) wieder hinunterfahren. Wir aber wollen zum Kuhstall hoch wandern. Auf dem Weg dorthin stoßen wir auf eine Steinmännchen -Kolonie – vielleicht schon eine Form von Land-Art ? Okay, als Wegzeichen sind es zu viele und wir sind hier auch nicht in Norwegen, wo man einen weiteren Stein hinzufügen müsste, um vor Trollen sicher zu sein. Streng genommen sollte man aus Naturschutzgründen sowieso vom Steinstapeln absehen, weil es die Bodenerosion fördert und auch den Lebensraum von Tieren wie Spinnen, Insekten und Eidechsen beschädigt, die unter den Steinen Zuflucht suchen und sich dort vermehren. Aber dieser Ort ist einfach großartig und vor allem für Familien mit Kindern eine willkommene Abwechslung beim Waldwandern.
Wir nähern uns dem Kuhstall, dem zweitgrößten Felsentor Sachsens, und irgendwie kommt mir die Gegend bekannt vor. Beim ersten Blick auf das riesige Loch im Fels rufe ich aus: „Hier waren wir schon einmal!“ Marianne weiß das natürlich. Sie macht unsere Reise- und Ausflugsplanung und ist entsprechend vorbereitet. Für mich ist das bis jetzt ein wenig spektakulärer Waldspaziergengang gewesen. Das Tor allerdings ist ein absolutes Highlight. Man geht da durch und schon eröffnet sich eine beeindruckende Aussicht auf die Umgebung.
Noch besser wird es, wenn man hier die Himmelsleiter, eine schmale Blechtreppe zwischen zwei der massiven Felsen hochsteigt. Oben auf dem Plateau ist der Ausblick noch beeindruckender. Der knorrige, noch kahle Baumbestand dort sowie das von hunderten Füßen „planierte“ Gelände dazwischen geben der Umgebung eine eigentümliche Atmosphäre.
Auf der Rückfahrt zum Campingplatz sehe ich auf der anderen Seite der Kirnitzsch einen schmalen Pfad, der sich mal aufwärts, mal abwärts, mal breit, mal schmal am Wasser und den Felsen entlang schlängelt. Sieht ganz reizvoll aus und so nehme ich mir vor, den morgen mal zu begehen, was ich auch lautstark kundtue, worauf Marianne in Gedanken drei Kreuzzeichen macht. Sie hat sich natürlich auch darüber schon informiert.
Jetzt aber freuen wir uns erst mal auf eine ausgiebige warme Dusche.
Flößersteig (schwierig) ...
… steht auf den Hinweisschildern für Wanderer zu lesen. Aber das ist ja relativ. Der Einstieg für uns ist direkt hinter dem Campingplatz. Marianne will mich nicht allein gehen lassen, obwohl sie für solche Touren nicht gerade schwärmt. Ich lasse mein leeres Handy im Auto, was sich später als ungeschickt herausstellen wird.
Über den Flößersteig ist oft zu lesen, dass er zwar lang aber ansonsten leicht gangbar sei. Allerdings warten unterwegs mehrere relativ kurze, dafür aber recht schwierige Teilstücke. An gespannten Halteketten und über verankerte Stahlbügel muss man sich im Steilhang über die Felsen hangeln. Für Kinder ein großes Abenteuer, für Mütter ein „Alptraum“ und für Hunde eine starke Herausforderung. Gute Trittsicherheit und entsprechendes Schuhwerk sind hier erforderlich.
Unter Ästen durch und Treppen hoch – was soll daran schwierig sein? Wir ahnen noch nicht, was uns bevorsteht.
Die Hürden liegen genau auf unserem Teilstück zwischen den Haltestellen Ostrauer Mühle und Forsthaus. Noch ahnen wir nichts. Ein paar herunterhängende Äste und umgefallene Bäume haben wir unterquert, eine steile Treppe passiert. Alles harmlos, aber als dann in einiger Entfernung eine größere schwarze Masse auftaucht, die man für einen feuchten Erdrutsch halten könnte, denke ich laut: „Okay, das war‘s. Weiter kommen wir nicht“.
Ist aber kein Matsch, sondern nasser Felsboden. In der Steilwand rechts davon ist eine Kette zum Festhalten und Hochziehen befestigt – für mich kein Problem, für Marianne allerdings eine erste Herausforderung, die sie aber mit zusammengebissenen Zähnen meistert. Beim Abstieg von der nächsten Hürde, diesmal mit einem massiven Metallgeländer gesichert, muss auch ich erst mal überlegen, wie das gehen soll. Der durch wenig Baumbestand unterbrochene, steile und gar nicht so kurze Abhang auf der anderen Seite trägt auch nicht gerade zur Beruhigung bei. „Versuch macht klug“ und so springe ich, eine Hand fest am Eisen, mit etwas ungutem Gefühl bergab. Mein Schatz schafft es auch mit einem Adrenalinstoß, der ihr noch drei Tage später in den Knochen steckt.
So was haben wir noch nie gemacht und Marianne versichert, dass sie das auch so schnell nicht wieder tut. Ich dagegen möchte den Steig noch eine Teilstrecke weiterverfolgen. Weil wir aber nicht wissen, was sich dabei noch offenbart, wählt sie an der Brücke zur Haltestelle Forsthaus den Weg über die Straße. Während ich so weiter marschiere, überlege ich, dass ein Handy jetzt ganz praktisch wäre, um einen späteren Treffpunkt zu koordinieren oder sich im Notfall zu melden. Meine Besorgnis ist allerdings unbegründet, den die Strecke bis zur Haltestelle Nasser Grund ist harmlos. Marianne ist sogar eher dort, was mich ein bisschen wundert.
Vom Campingplatz bzw. von der Haltestelle Ostrauer Mühle aus in Richtung Schandau brechen sich Kirnitzsch, Gleise und Straße durch ein besonderes Stück des Tals – rechts sowie links hoher Fels und weil es eine kurvenreiche Strecke ist, wirkt es fast so als wäre man von Wänden umschlossen. Für den Wanderer ist der parallel zur Straße verlaufene Weg mit einigen bizarren Felsformationen ein schönes Erlebnis.
Schmilka
Wassertank und Batterien sind wieder voll, Abwasser und Müll entsorgt – wir stehen wieder auf dem Stellplatz in Prossen. Marianne hat schon die nächste Tour vorbereitet: Wir fahren mit dem Rad nach Schmilka . Wieder bin ich ahnungslos, aber schon mitten auf dem Weg in Postelwitz beeindrucken mich die kleinen schmucken Häuser am Straßenrand.
In Schmilka angekommen denke ich laut: „Na ja, so dolle ist das hier aber nicht.“ Und das kann man auch denken, wenn man die Durchgangsstraße einfach so durchfährt. Nichts weist auf die charmante „Nebenstraße“ hin, die keinen Namen hat. Oder besser gesagt: Alle Straßen heißen hier Schmilka. Sind ja auch nur zwei – der Ort hat 75 Einwohner.
Wir biegen ab und unterqueren den über die Straße gelegten Anbau vom Haus Nummer 29. Nicht weit dahinter liegt ein Schmuckstück: 1665 erbaut zählt die Schmilksche Mühle zu den ersten Gebäuden der Siedlung. Etwa 200 Jahre brachliegend wurde sie 2007 wieder funktionstüchtig gemacht und beherbergt nun eine Bäckerei. Vorbilder dafür waren historische Ansichten, darunter ein Kupferstich von Adrian Ludwig Richter – einer der Künstler, die im 19. Jahrhundert auf dem direkt an der Mühle entlangführenden Malerweg in die Sächsische Schweiz wanderten. Die Schmilksche Mühle wird traditionell zu Pfingsten beim Mühlenfest in Betrieb genommen.
Ich blicke in den Hof der Mühle und der ist so urig, dass ich mir vornehme, hier später noch einen Kaffee zu trinken. Vorher gehen wir aber noch die kurze, insgesamt rustikale Straße hinauf bis zum Wald, wo sich auch ein Einstieg ins Wanderwegnetz befindet. Zurück an der Mühle schlendern wir erst mal durch den verwinkelten Hof, vorbei an riesigen Bottichen, die auch gerade befeuert werden. Wir überlegen, was für ein Mammut-Essen da wohl gerade zubereitet wird. Weil es uns draußen noch zu kühl ist, nehmen wir später im Wintergarten Platz und fragen die Bedienung: „Was wird denn da draußen gerade geköchelt?“ Lange geübt oder schlagfertig kommt die Antwort: „Menschen.“
Ich schaue sie fragend an: „Okay, jetzt im Ernst.“ Sie erwidert: „Doch, Menschen.“ und ergänzt eine kurze Pause später: „Das sind unsere Badezuber , darin können sie sich bei 37 Grad entspannen.“
Da fliegt mir doch das Blech weg. So was habe ich ja noch nie gesehen. Aber neu ist die Idee nicht, denn schon im Mittelalter waren Badehäuser ein ungezwungener, gesellschaftlicher Treffpunkt. Diese einmalige Atmosphäre versucht man in Schmilka so authentisch wie möglich nachzuempfinden.