Schlösser besichtigen ist ja so eine Sache. Man hört viel über adelige Herrschaften, deren historische Bedeutung sich für uns oft nicht einordnen lässt. Man sieht viel Prunk und Luxus, der – nicht nur wenn man ein Leben im kleinen Wohnmobil gewöhnt ist – wie vom anderen Stern erscheint. Beim »Cháteau des Milandes« ist das anders. Hier hat eine faszinierende Persönlichkeit gelebt, die ihre Stimme erhob gegen Rassismus und für Demokratie – ihre Botschaft ist heute genauso wichtig ist wie damals.
Saint Cyprien, wir werden dich in Erinnerung behalten – allerdings in keiner guten. Dabei fängt unsere Beziehung so friedlich an: Wir fahren auf den kleinen Stellplatz , zahlen 7 Euro am Automaten, tanken Wasser aus dem frei zugänglichen (!) Kran und würden wohl auch kostenlos Strom beziehen, was wir aber vorerst nicht ausprobieren. Dann schauen wir uns das Dorf bei einem kurzen Spaziergang an – nett, aber nicht außergewöhnlich für die Gegend, viele alte Häuser halt, Naturstein-Fassaden in grau bis ocker. Wer so was zum ersten Mal sieht, würde es malerisch nennen, aber wir haben ja schon einiges gesehen.
Gegen Abend parkt eine französische Familie hinter uns. Wir haben uns schon gewundert, warum wir auf dem preiswerten und gut gelegenen Platz alleine stehen. Die fahren auch gleich die Markise aus und stellen Tisch und Stühle darunter. Kurz vorher haben wir noch überlegt: „Camping-Verhalten? Darf man das auf diesem Platz?“
Plötzlich gegen 23 Uhr – wir liegen schon im Bett und ich bin gerade am Einschlafen – zwei heftige Schläge gegen mein Seitenfenster. Da machen sich wohl ein paar Rowdies daran, Wohnmobile zu belästigen. Wir haben ähnliche Schläge kurz vorher schon einmal gehört, konnten aber weder Quelle noch Ziel lokalisieren. Ich mache mir keine großen Sorgen – Rowdies oder Betrunkene eben, die sich einen Spaß machen. Da hinter uns Franzosen stehen, die einem im Ernstfall helfen könnten, und sei es nur bei den Formalitäten im Umgang mit Behörden, wenn es zu irgendwelchen Beschädigungen käme, solange bin ich nicht beunruhigt.
Dann fahren die Franzosen ab. Haben wohl kein Bock auf den Stress. Marianne fragt: „Was machen wir jetzt?“ Ich brauche nicht lange zu überlegen: „Wir hauen auch ab.“ Und da wir am nächsten Morgen früh zum Schloss Les Milandes fahren wollten und man da angeblich auch übernachten könne, war das Ziel klar. Eigentlich müssten wir unsere Toilettenkassette noch entleeren, aber ich möchte jetzt nicht unbedingt aussteigen.
Auf dem Weg zum Schloss will uns Google in eine Straße führen, die für Fahrzeuge mit einer Breite von bis zu 2,20 Meter begrenzt ist. Während ich mich noch frage, wie breit wir eigentlich sind (später herausgefunden: 2,05 Meter), kommt vom Beifahrersitz: „Da können wir nicht rein.“ Damit ist klar, dass ich da hinein fahre. Kurze Zeit später passieren wir ohne Probleme zwei durch Ausziehen des Bordsteins künstlich geschaffene Nadelöhre – aha, LKWs sind unerwünscht. Vor dem Schloss führt die Straße erst eine enge Kurve den Berg hinauf (schwer zu überblicken im Dunkeln) und dann weiter hinauf über eine enge, einspurige, kurvenreiche Fahrbahn – aha, deshalb keine LKWs. „Jetzt bloß kein Gegenverkehr“, denke ich, und schon sind wir am Schloss vorbei, haben aber keinen Parkplatz gesehen.
Also wieder zurück. Diesmal finden wir den für Nachtreisende versteckten Hinweis zum Parkplatz, folgen dem und fahren eine enge Schotterpiste am Parkplatz entlang bis zur Schranke, die leider geschlossen ist. Ein Schild daneben weist darauf hin, dass hier das Übernachten verboten ist.
Soll ich weiter fahren, um da vorn irgendwo zu wenden? Der weitere Verlauf der Strecke sieht mehr aus wie ein Feldweg. Vor 30 Jahren habe ich das mal mit den Kindern in Bayern versucht, und da haben wir uns im Wald festgefahren, mussten dort übernachten und morgens hat uns ein Trecker wieder hoch zur Straße gezogen. Das war vielleicht eine Aktion.
Nee, ich fahre besser rückwärts hier raus. Marianne geht mit der Taschenlampe vor und ich rolle hinter hier her, eifrig bemüht, weder die Zäune rechts und links noch meine Frau zu überfahren. So eine Rückfahrkamera ist schon ein gar nützlich Ding.
Okay, das hat geklappt. Wir fahren weiter. Marianne ist keine Freundin solcher Abenteuer und ich sehe, wie ihre Finger hektisch auf dem Handydisplay mit der Straßenkarte hin und her wischen, um einen Parkplatz in der Nähe zu finden. Dann verliert sie auch noch den Satellitenempfang, findet unsere Position nicht wieder und flucht laut vor sich hin. Nach etwa zwei Kilometern sehe ich ein Wohnmobil-Parkplatz-Schild am Straßenrand. Da steht auch schon ein Kollege und wir gesellen uns dazu.
Ich steige aus und gehe ein paar Schritte, um mich erstens zu orientieren und zweitens die Anspannung fallen zu lassen. Über mir wolkenloser, sternenklarer Himmel. Grandios.
Der Morgen danach
Bin wieder früh auf und will mir einfach nur ein bisschen die Beine vertreten. Vielleicht gibt es ja doch irgendwo einen Bäcker … Keine Chance, hier ist einfach nur Landschaft. Aber ich bin gar nicht so weit vom Schloss entfernt und beschließe, mal nachzusehen, ob die Schranke jetzt um halb acht noch geschlossen ist.
Nein, die Schranke ist offen. Ich gehe zurück und überrede Marianne, das Frühstück erst am Schloss einzunehmen. Sie hat inzwischen festgestellt, dass der kostenlose Stellplatz zu einem Bauern gehört und der hat natürlich einen Laden, in den die ausgeschlafenen Wohnmobilfahrer doch bitte einkehren möchten. Und genau das hat sie sich auch vorgenommen. Wir meiden eigentlich solche Plätze, weil wir in der Regel keine der angebotenen Produkte haben möchten, und nur aus Verpflichtung kaufen – das könnte dann vielleicht eine teure Übernachtung werden.
Wir fahren also los und da kommt eine ältere Frau aus dem Laden und stoppt uns mit einem Handzeichen. Ob wir denn nichts kaufen wollen (oder so ähnlich) fragt sie uns und Marianne antwortet mit einem freundlichen „Non“. Wir fahren mit einem schlechte Gewissen zum luxuriösesten Gebäude der Gegend und trösten uns mit dem Gedanken, dass es ja ein Notfall war.

Josephine Baker (Quelle: Wikipedia)
Wir stehen auf dem Parkplatz, blicken auf ein Schloss (link|https://www.milandes.com/en/|Webseite(GB)})im Morgendunst und trinken in aller Ruhe unseren Kaffee, denn das Chateau macht erst um halb zehn auf. Um viertel nach neun biegt eine Kolonne von Oldtimern mit etwa 30 Fahrzeugen auf den Parkplatz ein. Hmm, unter den ersten Besuchern werden wir also nicht sein. Wird aber kein Problem sein. Wir zahlen jeder unsere 14 Euro Eintritt am Tor des Parks und ich bin schon von der Außenanlage so begeistert, dass Marianne meine erste Fotosession unterbrechen muss und zur Eile mahnt, denn um halb 11 beginnt das »Spectacle de Rapaces«, die Greifvogelvorführung.
Wir bekommen am Eingang des Schlosses einen fernbedienungsgroßen, deutschen Audioguide und der dirigiert uns jetzt durchs Gebäude. Im ersten Raum erfahren wir etwas über die Familie und Nachfahren des ersten Schlossherrn François de Caumont
, Graf von Castelnaud, der das Bauwerk 1489 auf Initiative seiner Frau Claude de Cardaillac erbaute.
Okay, das ist dann auch schon der adelige Teil. Die restlichen Räume sind dem Andenken von Josephine Baker gewidmet, die etwa 30 Jahre hier gewohnt hat. Was für eine faszinierende Person. Marianne und ich sind begeistert – und betroffen.
Leider ist das Fotografieren im Schloss verboten. Hilke Maunder hat im Rahmen eines Interviews die Erlaubnis dazu bekommen (hier ist ihr Bericht ). Um halb elf sind wir immer noch im Schloss. Greifvögel können wir woanders auch sehen – eine so ergreifende Ausstellung über die Baker aber wohl nicht.
Der Rundgang endet mit dem traurigen Auszug (besser: Hinauswurf) der Baker aus (nicht mehr) ihrem Château. Sie war großzügig, gab immer mehr Geld aus als sie einnahm, war leichtgläubig und infolgedessen am Ende pleite. In der Küche hängt ein Bild von ihr, wie sie sich in diesem Raum verbarrikadierte, als die neuen Besitzer einzogen.
Wir sind wieder draußen. Der Falkner steht schon mit einem seiner Greifvögel vor der Tribüne und erzählt viel in der Landessprache. Okay, das lassen wir aus, denn wir sind noch geflasht von dem was wir gerade erfahren haben – aber da kommt auch schon das nächste Highlight: Der Park um das Schloss herum.
Der Park
Die Kapelle
Abgefüllt von all den visuellen Eindrücken gehen wir zum Schluss noch in die kleine Kapelle, deren Besuch sich auf jeden Fall lohnt, die auf uns aber fast wie das letzte Stück Hochzeitskuchen wirkt, wenn man vorher schon ein halbes Dutzend gegessen hat. Wir sind einfach voll. Die Texttafeln und Animations-Filme erklären die Restauration des Gebäudes und vor allem der Wandmalereien. Und da dort unter anderem ein Christopherus zu sehen ist, bekommen wir auch die Geschichte vom Träger des Christuskindes erzählt.
Wie schon im Schloss ist die Führung durch den deutschen Audioguide perfekt. Die Filme beginnen mit einem Countdown, an deren Ende du die Nummer des jeweiligen Films drückst – und schon sind Bild und Ton synchron. Die Texttafeln sind zwar alle auf französisch, aber über die Nummern darauf lassen sich die wesentlichen Informationen über den Guide abrufen.
Das war (schon wieder) ein wundervoller Tag. Wir fahren ein Stück weiter nach Castelnaud-la-Chapelle und werden uns für drei Tage auf dem dortigen Campingplatz (17,12 Euro ohne Strom) niederlassen. Unseren ursprünglichen Plan, erst den Stellplatz vor dem Campingplatz zu nutzen (15,82 Euro mit Strom, den wir nicht brauchen) haben wir fallengelassen.