Isigny-sur-Mer ist ein kleiner Ort in der Normandie, der für Touristen kaum etwas zu bieten hat. Es sei denn, die kommen mit einem Wohnmobil. Der kostenlose Stellplatz hat nämlich bis auf eine Dusche alles was wir brauchen. Also der richtige Ort, um mal wieder ein wenig zu entspannen oder zu arbeiten. Ohne Insigny-sur-Mer gäbe es allerdings den König der Löwen oder die Eiskönigin nicht – zumindest nicht von Walt Disney.
Okay, ein paar Solarzellen auf dem Dach sollte man schon haben, denn Strom gibt es am Quai Neuf auch nicht. Da ist zwar eine einzige Steckdose an der Ent- und Versorgungsstation, aber mir ist schleierhaft, wie man der Strom entlocken kann – ganz zu schweigen von einer Verteilung auf mehrere Fahrzeuge. Entgegen vieler Kommentare im Netz funktioniert die Wasserentnahme aber. Apropos „mehrere“: Der ursprüngliche Bereich mit 6 durch Hecken abgeteilten Parkplätzen wurde vor einiger Zeit durch einen zweiten mit 8 neuen Plätzen erweitert, so dass hier insgesamt 14 Mobile stehen dürfen. Marianne hat einmal doppelt so viele Fahrzeuge gezählt. Die Franzosen sehen das wohl nicht so eng und parken einfach auf den Rasenflächen dazwischen, was die Gendarmerie auch nicht weiter zu stören scheint. Und ich frage mich wieder mal, wie wir das handhaben wollen, wenn mal alle offiziellen Plätze belegt sind.
Ein Supermarkt ist keine fünf Minuten entfernt und dahinter ist auch direkt das Rathaus und der Marktplatz. Du kannst aber auch den etwas längeren Weg am Kai der Aure entlang gehen. Dann biegt man an der Brücke zum Hafen rechts ab und geht die Hauptstraße entlang in die Stadt.
Befreiung
An dieser Ecke kriegen wir dann gleich eine geballte Ladung Befreiungsfeierdekoration mit. Die Leinen mit den kleinen Flaggen von Frankreich, Großbritannien, Kanada und den USA sind so eng über die Straße gespannt, dass man fast von einem Fischernetz sprechen kann. Aber das ist noch zurückhaltend im Vergleich zu den Graffitis auf den Fensterscheiben (wirklich) aller Läden: comicbunte, meist uniformierte Figuren drücken ihre Dankbarkeit und Verbundenheit mit den alliierten Partnern aus. Direkt am Eingang des Supermarkts steht ein Produktdisplay in Form eines Jeeps fast in Originalgröße. Ich weiß gar nicht, was mir mehr Unwohlsein bereitet: die Tatsache, dass ich aus dem Land des damaligen Aggressors stamme oder die allgegenwärtige Betonung des Militärs. Es ist schon komisch, weil irgendwie sollten wir uns doch einreihen können in diese euphorische Dankbarkeit, denn wer von uns heute wollte schon unter einem Regime wie den Nazis leben.
Eine Fensterscheibe ist dann doch außergewöhnlich: Micky Maus schwingt eine amerikanische Flagge. Gut, liegt ja erst mal nahe, schließlich ist die Figur ein amerikanisches Wahrzeichen, aber die Beziehung zwischen Disney und dieser Stadt ist wohl tiefgründiger:
Hugues und Robert Suhard, Grafen von Isigny, verließen 1066 als Mitstreiter von Wilhelm dem Eroberer die Normandie nach England. Im Laufe der Zeit und auf ihren Reisen veränderte sich der Name der Comtes d‘Isigny allmählich und entwickelte sich zu Disney. 2016 kamen Micky und ein Disney-Team nach Isigny-sur-Mer, um den normannischen Ursprung ihres Schöpfers offiziell zu bestätigen, indem sie einen Walt-Disney-Garten im Ort einweihten.
Radtour
Unsere Radtour ans Meer beginnt mit einem Fehlstart. Eigentlich wollen wir die Aure auf der Westseite entlang nach Grandcamp Maisy , aber der Versuch endet auf einer Weide, von der ein Trampelpfad einen kleinen Deich hinauf führt. Seit unserer Tour zum Cap Blanc Nez sind wir bei der Wahl der Wege etwas vorsichtiger geworden, und so entscheidet Marianne, doch lieber die Straßen zu fahren. Da soll es auch einen Radweg (EV4) geben. Den trifft die freundliche Dame von Google aber irgendwie nicht, was vielleicht an unserer Ablehnung einiger Schotterwege liegt.
Mit Gefühl und der Straßenbeschilderung kommen wir auf Umwegen trotzdem an, schauen uns den eher gewöhnlichen Hafen an und fahren die ebensolche Promenade entlang. In Richtung Norden sehen wir die Felsspitze des Pointe du Hoc und damit wären wir wieder an dem Punkt, an dem wir letztes Jahr umgekehrt sind (siehe unser Blog) . Nun ist aber Zeit für eine Kaffeepause, allerdings schrecken uns die Bistros im Hafen mit den schon bekannten Befreiungs-Grafittis eher ab. Marianne zeigt mir den Wegweiser zu einer Creperie, wohl wissend, dass damit die Cafés hier keine Chance mehr haben.
Wir stellen die Räder ab und müssen dann doch noch ein Stück laufen – die Franzosen haben es nicht so mit Entfernungsangaben auf Wegweisern. Schließlich landen wir im L‘Aristide (ehemals „La Petit Fringale“), das erst Anfang des Jahres neu eröffnet hat – ein nettes kleines Café mit den freundlichen Gastgebern Alexandra und Bryant.
Auf dem Rückweg finden wir dann auch den Radweg und das ist eine schöne Strecke ohne viel Verkehr. Unterwegs sehen wir viele der für Cotentin typischen Häuser aus grauem Sandstein oder Granit, die mit ihrer stabilen Konstruktion und den kleinen Fenstern den besten Schutz vor heftigen Winterstürmen bieten. Besonders auffällig in dieser Beziehung sind die Gebäude um die Kirche St. Clement in Osmanville herum. Hier stoßen wir erneut auf Wilhelm den Eroberer , mit dem wir uns ja schon letztes Jahr beschäftigt haben (siehe Bayeux ). Eine Tafel vor der Kirche informiert uns über seinen legendären 150 Kilometer weiten Tagesritt auf der Flucht vor feindlichen Grafen. Angeblich soll er hier angehalten und gebetet haben.
Zurück am Ortseingang von Isigny kommen wir an einem ziemlich großen Gebäude vorbei – die Produktionsanlage einer genossenschaftlich betriebenen Molkerei. In einem Laden davor verkaufen die ihre Produkte und an einem Fenster nach draußen gibt es Eis. Ich bin schon ein paar Mal hier vorbei gekommen und immer standen vor dem Eisfenster relativ viele Leute. Das spricht doch für die Qualität, denke ich, und wir holen uns je ein „glace italienne“ – so heißt das Softeis in Frankreich. Und dieses Eis hier von der Molkerei in Isigny ist das beste, was wir bisher gegessen haben. Marianne ist danach gleich noch in den Laden gegangen und hat sich eine Tüte Karamellbonbons geben lassen, und zwar die eine von den zwei ähnlichen Sorten, die nicht so sehr an den Zähnen klebt, was die junge Verkäuferin ihr schlagfertig mit Hilfe vom Google Übersetzer erklärt.
Wir haben Isigny-sur-Mer nicht gezielt angesteuert. Beim Überbrücken „großer“ Entfernungen suchen wir uns einen möglichst kostenlosen, schön gelegenen Stellplatz am ungefähren Ende unseres durchschnittlichen Tagespensums von 200 Kilometern. Das war in diesem Fall Isigny. Und wie so häufig haben wir auch diesmal wieder festgestellt, dass es auch in unscheinbaren Orten beim Spazierengehen, Wandern oder Radfahren noch schöne Ecken zu entdecken gibt.
Unser nächstes Ziel ist Barfleur, angeblich eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Na, das wollen wir doch mal sehen.